BGH beerdigt § 4 Abs. 7 VOB!

I. Sachverhalt

Die Auftragnehmerin wurde mit Straßen- und Tiefbauarbeiten beauftragt. Die Auftragssumme betrug über 3 Millionen €.

Die VOB/B wurde mit Abänderungen, also nicht als Ganzes einbezogen.

Während der Bauausführung rügte die Auftraggeberin Mängel mit einem Beseitigungsaufwand von ca. 6.000 €.

Sie setzte Frist zur Mängelbeseitigung, nach deren fruchtlosem Ablauf Auftragsentzug gemäß § 8 Abs. 3 i.V.m. 4 Abs. 7 VOB/B erfolgte.

Die Auftragnehmerin begehrt Vergütung für erbrachte Leistung und nicht erbrachte Leistung abzüglich ersparter Aufwendungen, die Auftraggeberin macht widerklagend Mehrvergütungsansprüche aus der Ersatzvornahme geltend.

II. Entschieden

Der BGH bestätigte die Rechtsauffassung der Auftragnehmerin.

Gemäß § 8 Abs. 3 VOB/B kann der Auftragsentzug unter anderem auf § 4 Abs. 7 VOB/B gestützt werden, dessen Voraussetzungen vorliegen, wenn während der Bauausführung festgestellte Mängel nicht innerhalb der vom Auftraggeber gesetzten Frist beseitigt werden.

Ist die VOB/B, wie im vorliegenden Fall, nicht als Ganzes vereinbart, so unterliegt die Regelung des § 4 Abs. 7 VOB/B der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB.

Dieser Inhaltskontrolle hält § 4 Abs. 7 S. 3 VOB/B nicht stand, denn die Klausel stellt eine unangemessene Benachteiligung des Auftragnehmers dar, sie steht im Widerspruch zum gesetzlichen Leitbild.

§ 4 Abs. 7 VOB/B erlaubt i.V.m. § 8 Abs. 3 VOB/B die Kündigung aus wichtigem Grund einschränkungslos in jedem denkbaren Fall festgestellter Vertragswidrigkeit oder Mangelhaftigkeit.

Diese Möglichkeit besteht losgelöst davon, welches Gewicht der Vertragswidrigkeit oder dem Mangel im Hinblick auf die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses zukommt.

Die Klausel differenziert nicht nach der Ursache, der Art, dem Umfang, der Schwere oder den Auswirkungen der Vertragswidrigkeit oder des Mangels, so dass selbst unwesentliche Mängel, die dem Auftraggeber nach der gesetzlichen Regelung nicht zur Verweigerung der Abnahme berechtigen würden, zur Kündigung aus wichtigem Grund führen können.

Demnach konnte im entschiedenen Fall die Kündigung nicht auf § 4 Abs. 7 VOB/B gestützt werden.

Ob über § 4 Abs. 7 VOB/B vorliegend eine Kündigung auf die gesetzliche Regelung (§ 648 a BGB) gestützt werden konnte, hat der BGH zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

III. Fazit

Ist die VOB/B, wie regelmäßig bei größeren Bauvorhaben nicht als Ganzes vereinbart, so unterliegen die einzelnen Klauseln der Inhaltskontrolle.

Stehen diese Klauseln isoliert betrachtet im Widerspruch zu wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung ab, so sind sie unwirksam.

Mit der Entscheidung des BGH vom 19.01.2023 hat es nun § 4 Abs. 7 VOB/B getroffen.

Mit dieser Entscheidung ist wohl zu Recht ein Damoklesschwert eingezogen worden, das selbst bei geringfügigen Mängeln regelmäßig über dem Haupt des Auftragnehmers schwebte.

Dass Kündigungen, die in der Vergangenheit auf § 8 Abs. 3 i.V.m. § 4 Abs. 7 VOB/B gestützt wurden, damit nun per se unwirksam sind und als freie Kündigung gemäß § 8 Abs. 1 VOB/B mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen zu gelten haben (so FAZ 24.03.2023), stellt jedoch eine Fehlinterpretation der Entscheidung dar.

Es ist vielmehr in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die ausgesprochene Kündigung unter Berücksichtigung der Dispositionsfreiheit des Auftragnehmers dann von einem wichtigen Grund getragen wird, wenn weitere Umstände hinzutreten, die die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung für den Auftraggeber begründen.

Solche können sich im Einzelfall aus Umständen ergeben, die einen Bezug zu der potentiell mangelhaften oder vertragswidrigen Leistung aufweisen, sofern diese in der Gesamtabwägung so schwer wiegen, dass sie zu einer tiefgehenden Störung der für die Fortsetzung des Vertrags notwendigen Vertragsbeziehung geführt haben.

Dementsprechend ist nicht jede auf § 4 Abs. 7 VOB/B gestützte Kündigung unwirksam, sondern nur diejenigen, die ohne Einbeziehung der VOB/B, also der gesetzlichen Lage immer schon unwirksam waren.

RA Raber, 03.04.2023

(BGH, Urteil vom 19.01.2023 - VII ZR 34/20)

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