Bereits im Zuge der weltweiten Lockdowns infolge der Pandemie kam es zu erheblichen Preissteigerungen.
Diese Entwicklung wurde in erheblichem Umfang durch die Kriegsereignisse in der Ukraine
Hieraus ergeben sich erhebliche Risiken, sowohl gegenüber öffentlichen, als auch gegenüber privaten Auftraggebern.
Relevant ist insoweit nicht lediglich der Zeitraum ab Auftragserteilung/Zuschlag, sondern bereits der vorangehende Zeitraum ab Angebotsabgabe.
Das Bundesbau- sowie das Bundesverkehrsministerium haben in einem aktuellen Erlass vom 25.03.2022, soweit es Bundesbauvorhaben betrifft, auf die neue Situation reagiert.
Gerichtliche Entscheidungen, die Preisanpassungsansprüche aus Anlass der aktuellen Situation gegenüber privaten Auftraggebern begründen, gibt es noch nicht.
Demnach stellt sich die Situation derzeit wie folgt dar:
Die beiden Bundesministerien haben im Erlass vom 25.03.2022 (BW17-70437/9#4) für die Produktgruppen
- Erdölprodukte (Bitumen, Kunststoffrohre, Folien und Dichtbahnen, Asphaltmischgut)
eine bis zum 30.06.2022 befristete Sonderregelung getroffen:
I. Stoffpreisgleitklausel für Betriebsstoffe
Von der Stoffpreisgleitklausel nach Nr. 2.3 Formblatt 225 des VHB darf bei maschinenintensiven Gewerken erleichtert Gebrauch gemacht werden.
Eine Preisgleitklausel ist auch dann zulässig, wenn der Zeitraum zwischen Angebotsabgabe und Lieferung/Fertigstellung einen Monat überschreitet.
Vertragsfristen sind der aktuellen Situation anzupassen, Vertragsstrafen nur in begründeten Ausnahmefällen zu vereinbaren.
III. Laufende Vergabeverfahren
Soweit die Angebote noch nicht eröffnet wurden, sind Stoffpreisgleitklauseln nachträglich einzubeziehen, Auftragsfristen der aktuellen Situation anzupassen, Angebotsfristen gegebenenfalls zu verlängern.
Bieteranfragen zur Vereinbarung einer Stoffpreisgleitklausel zu den genannten Produktgruppen ist, soweit die Fertigstellungsfrist einen Monat überschreitet, nachzukommen.
Ist die Angebotseröffnung bereits erfolgt, ist das Verfahren in den Stand vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen, um Stoffpreisgleitklauseln einzubeziehen und die Ausführungsfristen zu verlängern.
IV. Anpassungen in bestehenden Verträgen
1.
Sind Materialien aus den genannten Produktgruppen nachweislich nicht oder vorübergehend nicht, auch nicht gegen höhere Einkaufspreise als kalkuliert beschaffbar, ist von höherer Gewalt auszugehen, mit der Folge, dass sich die Ausführungsfrist gem. § 6 Abs. 2 VOB/B verlängert und ein Schadensersatz/Entschädigungsanspruch zu Lasten des Auftragnehmers nicht entsteht.
In dieser Zeit gerät der Auftraggeber allerdings auch nicht in Annahmeverzug.
2.
Sind die Materialien aus den genannten Produktgruppen zwar zu beschaffen, jedoch nur zu einem höheren Einkaufspreis als kalkuliert, kommt eine Preisanpassung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB in Betracht.
Denkbar ist dies bei Preissteigerungen zwischen 20 und 25 %, teilweise auch bereits bei 15 %.
Relevant sind hierfür allerdings nicht die einzelnen Positionskosten, sondern das Gesamtauftragsvolumen.
Eine ohne Vertragsanpassung drohende Insolvenz ist nicht Voraussetzung für eine Preisanpassung, jedoch genügt es nicht bereits, dass die höheren Materialpreise den kalkulierten Gewinn aufzehren.
Besteht nach diesen Grundsätzen ein Anspruch auf Preisanpassung, trägt der öffentliche Auftraggeber nicht sämtliche, die Kalkulation übersteigenden Kosten.
Die Höhe der Vertragsanpassung wird im Einzelfall festgesetzt, wobei Zuschläge für BGK, AGK, Wagnis und Gewinn unberücksichtigt bleiben.
Ist es nicht möglich, die Zumutbarkeit durch eine Preisanpassung wiederherzustellen, ist der Auftragnehmer gem. 313 Abs. 3 BGB zum Rücktritt berechtigt
3. Veränderung von Verträgen, gem. § 58 BHO
Liegen die Voraussetzungen für eine Anpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) nicht vor, so kann gleichwohl eine Preisänderung nach § 58 BHO (Bundeshaushaltsordnung) erfolgen, wenn nur durch eine Preisanpassung der termingerechte Fortgang der Baumaßnahmen gefördert und Auseinandersetzungen vermieden, Verwaltungsaufwand und Folgekosten erspart werden können, also ein wirtschaftlicher Nachteil zu Lasten des Bundes vermieden werden kann.
Die Prüfung dieser Fälle erfolgt, wenn ein Nachteil des Bundes ab 125.000 € zu befürchten ist, durch die Fachaufsicht.
Unabhängig davon, ob der einzelne Unternehmer eine Preisanpassung nach § 313 BGB oder nach
§ 58 BHO geltend macht, hat er die Voraussetzungen darzulegen, und zwar wie folgt:
- Nachweis der tatsächlichen Einkaufskosten und Versicherung des Unternehmers, dass
etwaige Rückvergütungen oder Nachlässe des Baustofflieferanten o. ä. abgezogen sind
- Nachweis der Marktüblichkeit der tatsächlichen Einkaufspreise durch Vorlage von
5. Nachträgliche Vereinbarung einer Stroffpreisgleitklausel
Nach Prüfung der Unterlagen und in der Gesamtabwägung des Einzelfalls kann auch nach Zuschlagserteilung, also nachträglich eine Stoffpreisgleitklausel in bestehende Verträge eingefügt werden, soweit dies im Rahmen der vorgenannten Produktgruppen zu diesem Zeitpunkt noch
nicht erbrachte Leistungsteile betrifft.
Gem. § 132 GWB führen wesentliche Änderungen eines öffentlichen Auftrags während der Vertragslaufzeit dazu, dass ein neues Vergabeverfahren durchgeführt werden muss.
Erfolgen Änderungen des Preises gemäß § 313 BGB (Änderung der Geschäftsgrundlage), so handelt es sich dabei nicht um wesentliche Auftragsänderungen, so dass es eines erneuten Vergabeverfahrens nicht bedarf.
Selbst dann, wenn die Auftragsänderung ausnahmsweise wesentlich sein sollte, bedarf es eines neuen Vergabeverfahrens nicht, wenn, was beim Ukraine-Krieg der Fall ist, der öffentliche Auftraggeber die Änderung der Umstände nicht vorhersehen konnte.
In diesem Fall darf der Preis nicht um mehr als 50 % des Wertes des ursprünglichen Auftrags erhöht werden.
I. Angebotsabgabe
Mit der Auftragserteilung wird der Angebotspreis, egal ob Einheitspreis- oder Pauschalpreis Vertragsinhalt.
Änderungen kommen danach nur unter sehr eingeschränkten Bedingungen in Betracht.
Demzufolge muss bereits bei Angebotsabgabe, gegebenenfalls mit dem Risiko, dass der Auftrag nicht erteilt wird, Folgendes bedacht werden:
1.
Das Angebot wird mit einer überschaubaren Bindefrist verbunden.
2.
Das Angebot wird unter dem Vorbehalt einer Preisanpassungsklausel abgegeben.
Diese kann sich auf die Positionen beschränken, welche von Preiserhöhungen unmittelbar betroffen sind.
3.
Wesentliche Auswirkung auf den Preis hat die Bauzeit.
Faktoren, die bauzeitverlängernd sind und die nicht vom Auftragnehmer verursacht sind, sollten daher ein vertraglich vereinbartes Sonderkündigungsrecht des Auftragnehmers begründen.
II. Nach Vertragsabschluss
In bestehenden Verträgen, ohne Preisbindungsfrist besteht die Preisbindung bis zur Schlussrechnung.
Ist eine Preisanpassungsklausel nicht vereinbart, so wird es einen vertraglichen Preisänderungsanspruch regelmäßig nicht geben.
Kündigungsrechte sind ebenfalls, ausgenommen die gesetzlichen Regelungen nicht gegeben.
Vor diesem Hintergrund kommen in Betracht:
1.
Ist Material nachweislich nicht oder vorübergehend nicht, auch nicht gegen höhere Einkaufspreise, als kalkuliert, aufgrund des Krieges beschaffbar, so liegt höhere Gewalt vor.
Folgen hat dies jedoch lediglich für die Ausführungszeit und Schadensersatz/Entschädigungs- oder Vertragsstrafenansprüche.
Ein Preisanpassungsanspruch lässt sich daraus nicht ableiten.
2.
In den vorgenannten Fällen liegt jedoch regelmäßig eine Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB vor, so dass sich daraus bei Vorliegen der engen Voraussetzungen ein Preisanpassungsanspruch ergeben kann.
Allerdings wird der Auftraggeber nicht freiwillig zahlen, so dass Klärung im Rahmen eines nachgeschalteten gerichtlichen Verfahrens erfolgt, so dass die durch die Preisexplosion bedingte Liquiditätskrise des Auftragnehmers hierdurch nicht gelöst wird.
3.
Regelmäßig handelt es sich bei der Preisexplosion nicht um ein isoliertes Ereignis.
Von der Entwicklung sind bereits die Vorgewerke betroffen.
Es wird bereits dort zu Störungen führen, regelmäßig verbunden mit einer längeren Bauzeit.
Dies kann dazu führen, dass der Auftraggeber in Annahmeverzug gerät und sich für den Auftragnehmer die Möglichkeit einer Kündigung gem. § 643 BGB anbietet.
Dies verschafft ihm zwar keinen unmittelbaren Preisanpassungsanspruch, kann jedoch eine Verhandlungsbasis schaffen und stellt im schlimmsten Fall eine Exit-Lösung dar, bevor Schlimmeres eintritt.
RA Raber, 31.03.2022