Kündigung des Arbeitsverhältnisses - Lohnnachzahlung und hohe Abfindungen vermeiden
Die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland befindet sich im Krisenmodus. Die wichtigsten Pfeiler unserer Wirtschaft, die Automobilindustrie und die chemische Industrie haben Betriebsstilllegungen und Massenentlassungen angekündigt. Dies wird nicht ohne Folgen für mittelständische Betriebe, insbesondere Zulieferer bleiben und damit betriebsbedingte Kündigungen auf breiter Front nach sich ziehen. Verbunden ist dies für den Arbeitgeber mit einer teuren Rechtsunsicherheit, die den Namen „Annahmeverzug“ trägt. Zwischen Ausspruch der arbeitgeberseitigen Kündigung und der rechtskräftigen Entscheidung eines Arbeitsgerichts nach Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers vergeht viel Zeit. Verliert der Arbeitgeber den Prozess, so muss er den aufgelaufenen Lohn nachzahlen. Dieses Risiko, genannt Annahmeverzugsrisiko, kann je nach Anzahl der Kündigungen und Wirtschaftskraft des Unternehmens zu dessen finanziellem Ruin führen. Umso wichtiger ist es für den Arbeitgeber zu wissen, wie er dieses Annahmeverzugsrisiko möglicherweise in den Griff bekommt.
2. Anrechnung böswillig unterlassenen Erwerbs
Stellt das Gericht im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses fest, dass die Kündigung des Arbeitgebers unwirksam war, so muss der Arbeitgeber den aufgelaufenen Lohn nachbezahlen. Gem. § 615 S. 2 BGB muss sich der Arbeitnehmer jedoch hierauf diejenige fiktive Vergütung anrechnen lassen, die er durch böswillig unterlassenen Erwerb gerade nicht verdient hat, jedoch hätte verdienen können. Ein Arbeitnehmer unterlässt böswillig anderweitigen Verdienst, wenn ihm ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er während der Zeit, in der ihn der Arbeitgeber kündigungsbedingt nicht beschäftigt hat (Annahmeverzugszeitraum), trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich untätig geblieben ist und eine ihm nach Treu und Glauben unter Beachtung des Grundrechts auf freie Arbeitswahl zumutbare anderweitige Arbeit nicht aufnimmt. An diesem böswilligen Unterlassen fehlt es jedoch, wenn sich der Arbeitnehmer nach einer Kündigung durch den Arbeitgeber bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend meldet und deren Vermittlungsangeboten nachkommt. Damit ist für den Arbeitgeber nicht viel gewonnen. Zwar billigt ihm das BAG einen Auskunftsanspruch über die von der Arbeitsagentur unterbreiteten Vermittlungsvorschläge zu, jedoch hilft ihm dies nur wenig. Er hat keinen Einfluss darauf, wie viele und welche Angebote die Arbeitsverwaltung dem Arbeitnehmer gemacht hat und ob diese für den Arbeitnehmer zumutbar waren. Er weiß auch nicht, wie die Bewerbung des Arbeitnehmers ausgesehen hat und wie sich der Arbeitnehmer im Bewerbungsgespräch verhalten hat. Umso dringlicher stellt sich die Frage, ob der Arbeitgeber selbst Einfluss nehmen kann.
3. Was kann der Arbeitgeber tun?
Wenn der Arbeitnehmer sich auf seinen Lohnanspruch gegenüber dem Arbeitgeber anrechnen lassen muss, wenn er böswillig anderweitigen Verdienst unterlässt, so stellt sich die Frage, ob auch der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Vermittlungsvorschläge machen kann. Dies wurde in der Vergangenheit kritisch gesehen. So wurde weitgehend die Auffassung vertreten, dass es ausreicht, wenn der Arbeitnehmer sich arbeitssuchend meldet und für Vermittlungsvorschläge der Arbeitsverwaltung zur Verfügung steht. Letztlich wurde damit der Arbeitsagentur eine höhere Kompetenz der Vermittlung alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten zugebilligt, als dem Arbeitgeber. Dies ist umso erstaunlicher, da gerade der Arbeitgeber die Branche oftmals besser kennt, in der der Arbeitnehmer bislang tätig war, als ein Sachbearbeiter der Arbeitsagentur. Umso erfreulicher ist es, dass das BAG nunmehr eine Klarstellung vorgenommen hat. Benennt der Arbeitgeber freie, zu besetzende und zumutbare Stellen, trägt der Arbeitnehmer unter dem Gesichtspunkt der Bedingungsvereitelung im Weiteren die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass eine Bewerbung auf eine solche Stelle erfolglos gewesen wäre. Dieser entscheidende Satz in der Entscheidung des BAG vom 07.02.2024 stellt einen Paradigmenwechsel dar. Benennt der Arbeitgeber eine, dem Arbeitnehmer zumutbare freie Stelle und bewirbt sich der Arbeitnehmer auf diese Stelle nicht, so muss der Arbeitnehmer beweisen, dass eine Bewerbung auf diese Stelle erfolglos gewesen wäre. Dieser Beweis wird dem Arbeitnehmer dann nicht gelingen, wenn der Arbeitgeber eine zumutbare Stelle benannt hat, die tatsächlich frei war. Die Folge ist, dass der Arbeitnehmer, obschon er den Kündigungsschutzprozess gewonnen hat, letztlich für den Annahmeverzugszeitraum keine Vergütung vom Arbeitgeber erhält, weil er die Möglichkeit anderweitigen Verdienstes böswillig unterlassen hat.
4. Fazit
Mit der Entscheidung des BAG hat der Arbeitgeber ein Mittel an die Hand bekommen, die wesentliche Waffe des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozess, das Annahmeverzugsrisiko ganz oder teilweise zu entschärfen. Jeder Arbeitgeber sollte sich daher am besten schon im Vorfeld einer Kündigung, spätestens jedoch nach Ausspruch über alle offenen Stellen innerhalb der Branche und in einem zumutbaren Umkreis sowie den Beschäftigungskonditionen ein Bild machen und den Arbeitnehmer über diese zumutbaren offenen Stellen informieren. Dies sollte begleitend während des gesamten Kündigungsschutzverfahrens geschehen. Oftmals werden Stellen in Betrieben offen sein, mit denen sich der Arbeitgeber in Kontakt befindet. Es empfiehlt sich daher, dort anzufragen, ob sich der Arbeitnehmer beworben hat, wie die Bewerbung ausgesehen hat und wie gegebenenfalls das Bewerbungsgespräch gelaufen ist. Auch daraus lässt sich ableiten, ob der Arbeitnehmer sich ernsthaft um eine anderweitige Beschäftigung bemüht hat oder nicht.
Ob dies dazu führt, dass über den gesamten Zeitraum eines Kündigungsschutzprozesses kein Annahmeverzugsrisiko mehr besteht, wird vom Einzelfall abhängen. Sicher ist jedenfalls, dass sich Arbeitnehmer nicht mehr, so wie bisher geschehen, einfach zurücklehnen können. Die Verhandlungsposition für den Arbeitgeber ist eine bessere geworden.
RA Raber, 10.10.2024 (BAG, Urteil vom 07.02.2024 – 5 AZR 177/23)