Baurechtliche Auswirkungen der Corona-Krise

Vorbemerkung

Die Maßnahmen, die die Bundesregierung und die Landesregierungen zur Bewältigung der Corona-Pandemie getroffen haben, bleiben nicht ohne Folgen.

Auf den Baustellen fehlen Mitarbeiter, die ihre Kinder betreuen oder nicht in die Bundesrepublik einreisen können.

Materiallieferungen sind zunehmend gefährdet, die Lieferketten gelangen an ihre Grenzen.

Dies führt zwangsläufig dazu, dass vertraglich vereinbarte Fristen gefährdet sind.

Für den Auftraggeber stellt sich die Frage, ob ihm Schadensersatz- oder Vertragsstrafenansprüche gegen den Auftragnehmer zustehen oder ob er gegebenenfalls zur Kündigung des Vertrages berechtigt ist.

Hierauf gibt die vorliegende Info-Post Antwort.

I Vertragsfristen

Gemäß § 5 Abs. 1 VOB/B ist die Ausführung nach den verbindlichen Fristen (Vertragsfristen) zu beginnen, angemessen zu fördern und zu vollenden.

Wenn Arbeitskräfte, Geräte, Gerüste, Stoffe oder Bauteile so unzureichend sind, dass die Ausführungsfristen offenbar nicht eingehalten werden können, muss der Auftragnehmer auf Verlangen unverzüglich Abhilfe schaffen (§ 5 Abs. 3 VOB/B).

Verzögert der Auftragnehmer den Beginn der Ausführung, gerät er mit der Vollendung in Verzug oder kommt er seinen Verpflichtungen nach § 5 Abs. 3 VOB/B nicht nach, so droht ihm nach Ablauf einer angemessenen Frist zur Vertragserfüllung und Androhung des Auftragsentzuges die Kündigung gemäß § 8 Abs. 3 VOB/B.

Ausführungsfristen verlängern sich allerdings gemäß § 6 Abs. 2 VOB/B, wenn entweder eine Behinderung des Auftragnehmers vorliegt oder Witterungseinflüsse mit denen bei Abgabe des Angebots normalerweise nicht gerechnet werden musste.

Zu den Behinderungsgründen zählen

- Umstände aus dem Risikobereich des Auftraggebers

- Streik/Aussperrung oder ähnliches

- höhere Gewalt oder andere für den Auftragnehmer unabwendbare Umstände

Höhere Gewalt liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor, wenn ein von außen auf den Betrieb einwirkendes außergewöhnliches Ereignis gegeben ist, das der Auftragnehmer nicht vorhersehen und dementsprechend auch nicht abwenden kann.

Nicht um höhere Gewalt handelt es sich beim sogenannten Betriebsrisiko.

Legt man die von der Bundesregierung und den Landesregierungen getroffenen Maßnahmen vor dem Hintergrund der fachlichen Einschätzungen des R. K. I. als erforderlich zugrunde, so liegt höhere Gewalt vor.

Demzufolge ist der Auftragnehmer gemäß § 6 Abs. 2 S. 1 c VOB/B grundsätzlich in der Ausführung behindert.

Viele Auftragnehmer sind daher der Auffassung, dass es ausreicht, vertraglich vereinbarte Fristen mit einem Hinweis auf die „Corona-Krise“ außer Kraft zu setzen.

Dies ist fehlerhaft.

Gemäß § 6 Abs. 3 VOB/B hat der Auftragnehmer alles zu tun, was ihm billigerweise zugemutet werden kann, um die Weiterführung der Arbeiten zu ermöglichen.

Schließlich hat er, sobald die hindernden Umstände wegfallen ohne weiteres und unverzüglich die Arbeiten wieder aufzunehmen und den Auftraggeber davon zu benachrichtigen.

Dieser Verpflichtung gemäß § 6 Abs. 3 VOB/B kann der Auftragnehmer nur dann nachkommen, wenn er exakt dokumentiert, dass es ihm nicht möglich war, die Baustelle mit einer ausreichenden Anzahl von Mitarbeitern auszustatten, gegebenenfalls unter Einsatz von Leiharbeitnehmern soweit rechtlich zulässig, Anordnung von Überstunden etc..

Er muss den Nachweis erbringen, dass die Behinderung tatsächlich auf die Corona-Pandemie zurückzuführen ist und nicht auf andere Aspekte, wie z.B. dem Facharbeitermangel, der vor Corona vielfach ursächlich für Bauverzögerungen war.

Nur dann, wenn der Auftragnehmer schlüssig nachweisen kann, dass aus Anlass behördlicher Anordnungen oder anderer Umstände die konkrete Baustelle nicht mit der ausreichenden Zahl von Mitarbeitern versorgt werden konnte, kommt eine Verlängerung der Ausführungsfristen in Betracht, freilich nach unverzüglicher und schriftlicher Behinderungsanzeige gemäß § 6 Abs. 1 S. 1 VOB/B.

Diese Behinderungsanzeige muss alle Tatsachen beinhalten, aus denen sich für den Auftraggeber mit hinreichender Klarheit der Grund der Behinderung ergibt.

Bereits in der Anzeige muss daher konkret und detailliert beschrieben werden, in welchen Bereichen und in welchem Umfang der Auftragnehmer keine Leistungen ausführen kann und warum dies so ist.

Die immer wieder zu lesenden langatmigen Hinweise auf die Corona-Krise und hoheitliche Handlungsanweisungen, wie das Abstandsgebot, erklären für sich genommen nichts.

Wird die Leistung durch Nachunternehmer erbracht, muss der Auftragnehmer dafür Sorge tragen, dass der Nachunternehmer ihm eine entsprechende Behinderungsanzeige schreibt, aus der sich hinreichend deutlich dokumentiert ergibt, warum der Nachunternehmer seine Leistung nicht erbringen kann.

Es reicht also nicht aus, eine unsubstantiierte Behinderungsanzeige mit bloßem Verweis auf die Corona-Krise einfach weiterzureichen.

II Schadensersatz

Verzögert der Auftragnehmer den Beginn der Ausführung oder gerät er mit seinen Verpflichtungen nach § 5 Abs. 3 VOB/B in Verzug, so kann der Auftraggeber anstelle des Auftragsentzuges Schadensersatz nach § 6 Abs. 6 VOB/B verlangen.

Dem Auftraggeber steht Ersatz des ihm nachweislich entstandenen Schadens zu.

Haben die Parteien eine Vertragsstrafe vereinbart, so verwirkt diese der Auftragnehmer.

Da ein Schadensersatzanspruch Verschulden voraussetzt, wird vielfach angenommen, dass es infolge der „Corona-Krise“ generell am Verschulden fehlt.

Auch dies ist falsch.

Der bloße Hinweis auf höhere Gewalt stellt keine Entschuldigung dar.

Um Schadensersatzansprüche gemäß §§ 5 Abs. 4, 6 Abs. 6 VOB/B zu vermeiden, muss der Auftragnehmer, wenn die Nichteinhaltung einer verbindlichen Vertragsfrist droht, exakt dokumentieren, weshalb er die Frist nicht einhalten kann, weil hierfür entweder die Pandemie selbst (Erkrankung von Mitarbeitern) oder pandemiebedingte behördliche Anordnungen die Ursache ist.

Der Auftragnehmer sollte darauf hinwirken, dass sich die Vertragsfristen verlängern. Er sollte sich nicht darauf verlassen, dass ihm ein Gericht in einem späteren Rechtsstreit fehlendes Verschulden attestiert.

III Lange Unterbrechung

Dauert eine Unterbrechung länger als drei Monate, so kann jeder Teil nach Ablauf dieser Zeit den Vertrag schriftlich kündigen (§ 6 Abs. 7 S. 1 VOB/B).

Wir können derzeit nicht einschätzen, ob es zu Unterbrechungen von mehr als drei Monaten kommen wird.

Angesichts der Ankündigungen, insbesondere der Bundesregierung zu einem eher zögerlichen Ausstieg aus dem Shutdown wird man jedoch davon ausgehen müssen, dass es Bauunterbrechungen von drei Monaten und länger geben kann.

Ob es in diesen Fällen sinnvoll ist, den Vertrag zu kündigen und abzurechnen, muss im Einzelfall überdacht werden.

Sinnvoller ist es meist, wie bereits anlässlich der Finanzkrise im Jahre 2008 weitgehend verbreitet, das Auftraggeber und Auftragnehmer Vereinbarungen schließen, wonach Abrechnung des Leistungsstands nach Aufmaß erfolgt und die Parteien den Vertrag lediglich ruhendstellen, damit nach Ende der Unterbrechung mit einer angemessenen Frist auf Wiedereinrichtung der Baustelle fortgefahren werden kann.

Dies erspart dem Auftraggeber eine neue Auftragsvergabe, gegebenenfalls nach vorangegangener Ausschreibung.

Dem Auftragnehmer erhält es den Auftrag, der ihm Planungssicherheit für die Zeit nach der Krise gibt.

Hinzukommt, dass es der Geschäftsbeziehung beider Partner.

IV Ansprüche aus Bauzeitverzögerung

Gemäß § 6 Abs. 6 VOB/B steht dem Auftragnehmer ein Anspruch auf Ersatz des nachweislich entstandenen Schadens zu, wenn die hindernden Umstände vom Auftraggeber zu vertreten sind.

Er kann darüber hinaus angemessene Entschädigung nach § 642 BGB verlangen.

Voraussetzung für Ansprüche aus einem gestörten Bauablauf ist, dass der Bauablauf durch Gründe gestört wird, die der Auftraggeber zu vertreten hat.

Diese Gründe können auch in der „Corona-Krise“ liegen.

Allerdings ist Vorsicht geboten.

Ist der Auftraggeber gezwungen, die Bauarbeiten beispielsweise aufgrund behördlicher Anordnungen einzustellen oder ergibt sich Bauverzug der einzelnen Gewerke nachweislich aus Umständen, die der Pandemie oder/und darauf bezüglicher Anordnungen geschuldet sind, fehlt es regelmäßig am Verschulden des Auftraggebers, sodass bereits die Voraussetzungen für eine Behinderungsanzeige gemäß § 6 Abs. 1 VOB/B nicht gegeben sind.

V Fazit

Die „Corona-Krise“ eignet sich nicht dazu, Vertragsfristen ohne ausreichende Darlegung und Dokumentation der Kausalität zwischen Pandemie und Leistungsstörung außer Kraft zu setzen.

Sie eignet sich auch nicht dazu, Ansprüche aus Bauablaufstörungen zu generieren.

Die Krise eignet sich allerdings dazu, wieder stärker aufeinander zu zugehen, eintretende Schwierigkeiten offen zu benennen und einvernehmliche Regelungen zu finden.

Darin liegt vielleicht sogar eine Chance der Krise, wenn es gelingt, den Begriff der Kooperationspflichten am Bau wieder mit mehr Inhalt zu füllen.

Erfurt, 27.04.2020

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