Zur Wirksamkeit von Beitragsbescheiden der Deutschen Rentenversicherung-Bund nach der CGZP-Entscheidung des BAG.

Mit Beschluss von 14.12.2010 hatte das BAG festgestellt, dass die von der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalservice Agenturen (CGZP) abgeschlossene Tarifverträge vom 29.11.2004, 19.06.2006 und 09.07.2008 unwirksam sind.

Fehlt es an einem wirksamen Tarifvertrag, so gilt der Grundsatz des § 10 Abs. 4 AÜG, wonach Leiharbeitnehmer zu den im Betrieb des Entleihers geltenden Bedingungen zu beschäftigen sind (Equal Pay).

Dementsprechend prüft die Deutsche Rentenversicherung Bund sukzessive diejenigen Verleihbetriebe, die den CGZP-Tarifvertrag in der Vergangenheit angewendet haben.

Anhand der als vergleichbar erachteten Stammarbeitnehmer in den Entleiherbetrieben wird die Differenz zwischen dem diesen zustehenden Arbeitsentgeltanspruch und dem tatsächlich gezahlten Arbeitsentgelt nach dem CGZP-Tarifvertrag ermittelt und auf dieser Beitragsbemessungsgrundlage der SV-Nachzahlbetrag ermittelt.

Man kann sich leicht vorstellen, dass bei Prüfzeiträumen von 5 Jahren vor dem BAG-Urteil Nachzahlbeträge in fünf- und sechsstelliger Höhe zusammenkommen, die ein mittelständisches Unternehmen der Zeitarbeitsbranche zwangsläufig an den Abgrund drücken.

Betroffenen Unternehmen ist daher dringend zu empfehlen, gegen zu erwartende Bescheide Widerspruch einzulegen und diese mit einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zu verbinden, da der Widerspruch selbst keine aufschiebende Wirkung hat.

Hilfsweise sollten Stundungs- und Niederschlagungsanträge, auch an die Einzugsstellen gestellt werden.

Was sind die wesentlichen Argumente für eine Widerspruchsbegründung?

1. Vertrauensschutz

Die Unternehmen der Zeitarbeitsbranche, die AMP/CGZP-Tarifverträge angewandt haben, können für sich Vertrauensschutz in Anspruch nehmen.

Vor der Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin am 01.04.2009 musste niemand davon ausgehen, dass die Tarifverträge CGZP unwirksam sind.

Im Gegenteil:

Die Formulare der Bundesagentur für Arbeit im Erlaubnisverfahren nach dem AÜG enthielten den eingedruckten Hinweis, dass der AMP/CGZP-Tarifvertrag angewendet wird.

In allen Prüfungen der DRV würde die ordnungsgemäße Zahlung des Arbeitsentgelts am angewandten Tarifvertrag, darunter regelmäßig des Tarifvertrages AMP/CGZP, gemessen.

Die Bundesregierung selbst räumte noch unmittelbar vor Erlass des Beschlusses des BAG vom 14.12.2010 ein, dass sie selbst auf die Wirksamkeit der CGZP-Tarifverträge vertraut hat (BT-Drs.17/736, S. 3 und 17/4626, S. 4).

Das BAG schließlich selbst hatte noch mit Beschluss vom 28.03.2006 die Gewerkschaftseigenschaft der „Christliche Gewerkschaft Metall“ (CGM) anerkannt und damit die Tariffähigkeit der Christlichen Gewerkschaft als Mitglied des CGZP gerade bejaht.

Die BA machte in ihren Broschüren ausdrücklich darauf aufmerksam, dass der AMP/CGZP-Tarifvertrag anwendbar ist.

Vor der Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin am 01.04.2009 und der folgenden Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg vom 07.12.2009 musste niemand in der Zeitarbeitsbranche davon ausgehen, dass ernsthafte Zweifel an der Wirksamkeit der Tarifverträge AMP/CGZP bestehen.

Hätte Anlass zu solchen Zweifeln bestanden, so wäre es eine Kleinigkeit gewesen, den Tarifvertrag zu wechseln, beispielsweise von AMP/CGZP zu iGZ/DGB.

Die Unterschiede zwischen den Tarifverträgen der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften einerseits und des DGB andererseits waren nämlich marginal.

Es liegt daher auch eine schwerwiegende Verletzung des Gleichheitsprinzips vor, wenn Unternehmen der Zeitarbeitsbranche, die zufällig den für wirksam erachteten Tarifvertrag der AMP/CGZP zur Anwendung brachten, nunmehr um ihre Existenz gebracht werden, während solche, die ebenso zufällig den Tarifvertrag der iGZ/DGB anwandten nunmehr einen klaren Wettbewerbsvorteil haben, da sie in Folge Wirksamkeit des verwendeten Vertrages nicht den Konsequenzen des Equal Pay ausgesetzt sind.

Es ist daher dem Appell des Sachverständigenrates in seinem Jahresgutachten 2011 (Seite 300) zu folgen, der empfiehlt, den betroffenen Zeitarbeitsunternehmen Vertrauensschutz für die Zeit vor der Urteilsverkündung (BAG) zuzuerkennen, wobei der Gesetzgeber zukünftig die Tariffähigkeit klar regeln sollte.

2. Verbotene Rückwirkung von Gerichtsurteilen

Die Entscheidung des BAG vom 14.12.2010 führt dazu, dass rückwirkend der unverjährte Zeitraum anderen Regeln, als denjenigen, die ursprünglich galten, unterworfen wird.

Es entspricht gutem Brauch der Bundesgerichte, dass sie im Falle einer Rechtsprechungsänderung Bestandsschutz für die Zeit vor der Änderung gewähren.

So hat auch das BSG in mehreren Entscheidungen die Auffassung vertreten, dass für eine Änderung der Rechtsprechung, die für die Betroffenen wie eine Gesetzesänderung wirkt, auch die gleichen Regeln zu gelten hätte.

Hat ein Arbeitgeber aufgrund einer geänderten höchstrichterlichen Rechtsprechung Beiträge für bestimmte Arbeitnehmerbezüge abzuführen, die nach der bisherigen Rechtsprechung beitragsfrei waren, so ist die geänderte Rechtsprechung aus Gründen des Vertrauensschutzes für den Arbeitgeber grundsätzlich nicht rückwirkend anzuwenden.

Etwas anderes gilt nur dann, wenn er die geänderte Rechtsprechung und ihre Folgen für seine Beitragspflicht schon vor der Unterrichtung durch die Einzugsstelle kannte oder wenn er nach den Umständen des Einzelfalles Anlass hatte, insoweit bestehende Zweifel von sich aus zu klären (BSG Urteil vom 18.11.1980 12 RK 59/79).

Dementsprechend ist den betroffenen Firmen Vertrauensschutz mindestens bis zum 14.12.2010, der Entscheidung des BAG zu gewähren.

3. Beiträge auf nichtgezahltes Arbeitsentgelt

Gem. § 22 SGB IV gilt das sogenannte Entstehungsprinzip.

Nach der Rechtsprechung des BAG kommt es für den Zeitpunkt der Fälligkeit der Beiträge darauf an, dass Arbeitsentgelt geschuldet wird.

Im Zeitraum vor der Entscheidung des BAG schuldete der Arbeitgeber ein höheres Arbeitsentgelt, als es im Tarifvertrag CGZP vorgesehen war, nicht.

Das LSG Berlin-Brandburg hat entschieden, dass das Entstehungsprinzip nur dann und insoweit in Betracht kommt, als zum Zeitpunkt der Beitragsfälligkeit feststeht, dass nach einem Tarifvertrag ein höheres Entgelt tatsächlich geschuldet wird (LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 29.10.2010 – L 1 KR 24/04).

Genau dies ist vorliegend nicht der Fall.

Die Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg wurde übrigens durch Verwerfung der Nichtzulassungsbeschwerde des BSG rechtskräftig (BSG Beschluss vom 08.06.2011- B 12 KR 2/11 B).

4. Verjährung/Verwirkung

Maßgeblich ist die vierjährige Verjährung, nicht die dreißigjährige Verjährung, die Vorsatz voraussetzt.

Vorsatz ist aus den vorgenannten Gründen bei keinem der Unternehmen der Zeitarbeitsbranche anzunehmen.

Dementsprechend errechnet sich der verjährte Zeitraum, freilich unter Berücksichtigung durchgeführter Betriebsprüfungen, die verjährungshemmende Wirkung hatten.

Die Verjährungseinrede sollte sogleich in der Widerspruchsbegründung erklärt werden.

Unabhängig von der Verjährung kommt auch regelmäßig Verwirkung in Betracht. Das Institut der Verwirkung ist dem Grundsatz von Treu und Glauben entnommen.

Die Verwirkung stellt den Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung dar und setzt voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts  während eines längeren Zeitraums unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung des Anspruchs dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lässt.

Die Deutsche Rentenversicherung hat viele Jahre , auch in den Prüfzeiträumen die Gültigkeit des CGZP-Tarifvertrages selbst zugrunde gelegt, BA und SV-Träger haben explizit darauf hingewiesen, dass es vorteilhaft sei, den CGZP-Tarifvertrag anzuwenden, sodass alle Unternehmer davon ausgehen durften, dass ihnen hierdurch kein Rechtsnachteil entsteht.

Es spricht daher einiges dafür, dass für die noch nicht verjährten Zeiträume zumindest bis zur Entscheidung des BAG Verwirkung eingetreten ist.

5. Betriebsprüfungen

Hat eine Betriebsprüfung stattgefunden, die mit dem nunmehr nachveranlagten Zeitraum deckungsgleich oder teilweise deckungsgleich ist, so stellt sich die Frage, ob Nachforderungen für diesen Zeitraum überhaupt in Betracht kommen.

Das Bayerische Landessozialgericht hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die Nachforderung von Beiträgen für einen Zeitraum, der zuvor Gegenstand einer früheren Betriebsprüfung war, nur in Betracht kommt, wenn die Voraussetzungen des § 45 SGB X gegeben sind.

Das BSG führt aus, dass eine Betriebsprüfung nur eine Kontrollfunktion habe, nicht eine Entlastungsfunktion, zumal teilweise nur eine auf Stichproben beschränkte Prüfung stattfindet (BSG Urteil vom 14.07.2004 B 12 KR 10/02 R).

Hieraus folgt, dass eine Betriebsprüfung dort keine wesentliche Bedeutung hat, wo eine konkrete Prüfung der hier maßgeblichen Aspekte gar nicht stattgefunden hat.

Die Rechtsprechung darf jedoch auf keinen Fall dahingehend verstanden werden, dass die Gebiete, die nachweisbar geprüft worden sind, jederzeit einer erneuten Prüfung ohne wichtigen Grund unterzogen werden dürfen.

Wurde dementsprechend im Rahmen einer Betriebsprüfung geprüft, ob das Arbeitsentgelt auf der Grundlage des Tarifvertrages AMP/CGZP korrekt berechnet wurde, so geht hiervon eine Bindungswirkung aus.

Der häufig zu hörende Einwand, die Prüfer der Bundesagentur für Arbeit, der Berufsgenossenschaft oder der Deutschen Rentenversicherung würden nicht die Anwendbarkeit des Tarifvertrages prüfen, geht fehl.

Was sonst, wenn nicht die ordnungsgemäße Zahlung der Arbeitsentgelte anhand eines Tarifvertrages und zuvor, ob dieser Tarifvertrag eine rechtmäßige Grundlage für die Zahlung der Löhne darstellt, wird geprüft.

Wenn also eine Betriebsprüfung erfolgte und dies ohne Vorläufigkeitsvermerk bzw. Vorbehalt, so ist die Deutsche Rentenversicherung von der Gültigkeit der zugrunde gelegten Tarifverträge ausgegangen.

Es ist daher unzulässig, wenn die Deutsche Rentenversicherung in den bereits geprüften Zeitraum erneut hineinprüft.

Der bereits ergangene Bescheid stellt eine zeitliche Sperre dar (Bayerisches LSG Urteil vom  18.01.2011, L 5 R 752/08).

6. Ermittlung des Equal Pay nur für vergleichbare Arbeitnehmer

Will die Deutsche Rentenversicherung im Rahmen des ihr obliegenden Amtsermittlungsprinzips das Arbeitsentgelt auf der Basis des Equal Pay ermitteln, so benötigt sie Angaben des Entleihbetriebes für die Entlohnung vergleichbarer Arbeitnehmer.

Die Praxis zeigt, dass diese Auskünfte regelmäßig nicht zu erhalten sind, da sich die Entleihunternehmen nicht genötigt sehen, an umfassenden Aufklärungsarbeiten weit in die Vergangenheit hinein teilzunehmen.

Fraglich ist, ob dieser Umstand zu Lasten des Zeitarbeitsunternehmens geht.

Gem. §§ 3, 9 AÜG ist stets auf einen tatsächlich im Unternehmen des Entleihers tätigen Arbeitnehmer abzustellen und nicht auf eine fiktive Person.

Wenn die Deutsche Rentenversicherung dementsprechend keine Feststellungen machen kann, so geht dies zu ihren lasten, zumindest müssen Abschläge vorgenommen werden.

7. Zulagen

Bei der Festsetzung der nachzuzahlenden Beiträge berücksichtigt die Deutsche Rentenversicherung bei dem vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitsentgelt nur verbeitragte Entgeltbestandteile, nicht also nicht verbeitragte Bestandteile, wie Verpflegungsmehraufwand oder Fahrtkosten.

Dies hat zwangsläufig zur Folge, dass der Unterschiedsbetrag zwischen Equal Pay-Lohn und dem gezahlten Lohn größer ist, als er sein müsste.

Arbeitsentgelt im Sinne von § 14 SGB IV umfasst alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden.

In der Widerspruchsbegründung ist daher vorzutragen, ob und in welchem Umfang Verpflegungsmehraufwand und Fahrtkostenerstattung gezahlt wurde.

8. Antrag auf Aussetzung der Vollziehung

Weder Widerspruch noch Anfechtungsklage gegen Beitragsbescheide haben aufschiebende Wirkung § 86 a Abs. 2 Nr. 1 SGG.

Dies hat zur Folge, dass die Forderung trotz Einlegung eines Rechtsbehelfs vollstreckbar bleibt und durch die Einzugsstelle (Krankenkasse oder VBG) beigetrieben werden kann, auch wenn über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides noch nicht rechtskräftig entschieden wurde.

Es ist daher entweder bei der Behörde, die den Bescheid erlassen hat oder bei der Widerspruchsbehörde, Antrag auf vorläufigen einstweiligen Rechtschutz zu stellen.

Es empfiehlt sich, diesen mit der Widerspruchsbegründung zu verbinden.

Sollte die Deutsche Rentenversicherung dem Antrag nicht stattgeben, bleibt der Weg einen entsprechenden Antrag beim Sozialgericht zu stellen (§ 86 b Abs. 1 SGG).

Die Aussetzung der Vollziehung von Beitragsbescheiden erfolgt gem. § 86 a Abs. 3 S. 2 SGG, wenn ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Beitragsbescheids bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- und Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Eine unbillige Härte ist gegeben, wenn dem Zeitarbeitsunternehmen ein nicht wiedergutzumachender Schaden droht, beispielsweise, wenn die Zahlung die Insolvenz herbeiführt oder zur Existenzvernichtung führt.

Es empfiehlt sich, daher dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung eine Bestätigung des Steuerberater beizufügen, der bestätigt, dass die verfügbaren finanziellen Mittel ausgeschöpft sind, ein weiterer Kontokurrentrahmen nicht zur Verfügung steht und daher im Falle einer Vollstreckung zwangsläufig Insolvenzantragspflicht des Geschäftsführers des Zeitarbeitsunternehmens gem. § 64 Abs. 1 GmbHG bestünde.

Die bisherige Praxis zeigt, dass die Deutsche Rentenversicherung entsprechend begründeten Anträgen stattgibt, da sich alle Beteiligten darüber klar sind, dass letztlich das BSG über die Rechtmäßigkeit der Bescheide entscheiden muss.

Bis dahin wird noch einige Zeit vergehen.

RA Raber, 06.10.2014

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