Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz

 

 

Die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz spielte in der Vergangenheit vor den Arbeitsgerichten nur dann eine Rolle, wenn bereits strafrechtlicher Bezug eingetreten war.

 

Die Verhältnisse haben sich glücklicherweise geändert, denn nicht nur Frauen, sondern auch die Männer sind sensibler geworden, was den Umgang mit diesem Thema betrifft.

 

In letzter Zeit scheint sich jedoch, befeuert durch die „me-too-Debatte“, ein Trend breit zu machen, nach Fehlverhalten insbesondere bei männlichen Arbeitnehmern zu suchen, um den steinigeren Weg einer Kündigung aus betrieblichen, personenbedingten oder leistungsbezogen-verhaltensbedingten Gründen umgehen zu können.

 

Dies legt eine nähere Beschäftigung mit der Rechtsprechung des BAG zur Kündigung aus Anlass einer sexuellen Belästigung in den vergangenen 15 Jahren nahe.

 

 

1.

Der Gesetzgeber hatte bereits im § 2 Abs. 2 S. 1 BSchG definiert, was eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist, nämlich jedes vorsätzliche, sexuell bestimmte Verhalten, das die Würde von Beschäftigten am Arbeitsplatz verletzt.

 

Nach § 2 Abs. 2 S. 2 BSchG gehören dazu sexuelle Handlungen und Verhaltensweisen, die nach den strafgesetzlichen Vorschriften unter Strafe gestellt sind, so wie sonstige sexuelle Handlungen und Aufforderungen, zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie Zeigen und sichtbares Anbringen von pornografischen Darstellungen, die von den Betroffenen erkennbar abgelehnt werden.

 

Obschon der Gesetzgeber damit einen beträchtlichen Sprung nach Vorne vornahm, engte er den Rahmen zum einen durch den subjektiven Tatbestand des Vorsatzes, zum anderen durch den Hinweis auf strafgesetzliche Vorschriften ein.

 

Das BAG hat bereits unter anderem in seiner Entscheidung vom 25.03.2004 (2 AZR 341/03) klargestellt, dass eine sexuelle Belästigung in diesem Sinn, also einem vorsätzlichen sexuell bestimmten Verhalten, die Qualität eines an sich wichtigen Grundes zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses zukommt.

 

Dabei hat das BAG damals noch differenziert.

 

Sollte der Kläger sexuelle Handlungen gegen den erkennbaren Willen der Arbeitnehmerin vorgenommen haben, ist von einem wichtigen Grund im Sinne von § 626 S. 1 BGB auszugehen.

 

Stellt sich jedoch heraus, dass der Kläger lediglich einmal - weil er in die Arbeitnehmerin verliebt gewesen sei - gegen § 2 Abs. 3 BSchG verstoßen habe, so müsse sich die Tatsacheninstanz mit der Verhältnismäßigkeit der Sanktion auseinandersetzen.

 

 

 

2.

Mit Inkrafttreten des AGG trat eine neue Definition dessen, was eine sexuelle Belästigung ist, an die Stelle des BSchG.

 

Nunmehr liegt nach § 3 Abs. 4 AGG eine sexuelle Belästigung vor, wenn ein unerwünschtes sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts, sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornografischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

 

Im Unterschied zu § 3 Abs. 3 AGG können danach auch einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweisen den Tatbestand einer sexuellen Belästigung erfüllen.

 

Die Definition der §§ 3 und 4 AGG umfasst damit einen weiteren Handlungsrahmen und setzt anders als das BSchG weder Vorsatz noch einen strafrechtlichen Bezug voraus.

 

Relevant ist vielmehr, ob die betroffene Person ihre ablehnende Einstellung zu entsprechenden Verhaltensweisen aktiv verdeutlicht hat.

 

Des Weiteren kommt es auch nicht darauf an, ob der Kläger die Unerwünschtheit seines Verhaltens selbst erkannt hat, sondern alleine die objektive Erkennbarkeit ist ausreichend.

 

Das BAG hebt daher in einer Entscheidung vom 09.06.2011 (2 AZR 323/10) hervor, dass es unmaßgeblich ist, wie der Kläger sein Verhalten eingeschätzt und empfunden hat oder verstanden wissen wollte.

 

 

3.

Hat das BAG auf diese Weise die Voraussetzungen für die Annahme eines an sich wichtigen Grundes herabgesetzt, so ändert dies gleichwohl nichts an den weiteren Voraussetzungen, die das BAG in seiner Emmely-Entscheidung vom 10.06.2010 klargestellt hat.

 

In dieser Entscheidung, in der es bekanntlich nicht um sexuelle Belästigung gegangen ist, stellt das Gericht klar, dass es keine absoluten Kündigungsgründe gibt und daher stets konkret zu prüfen ist, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten.

 

Hintergrund ist, dass die verhaltensbedingte Kündigung nicht der Bestrafung des Arbeitnehmers dient, sondern Folge einer negativen Prognose hinsichtlich des zukünftigen Verhaltens des Arbeitnehmers ist.

 

Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann.

 

Im Umkehrschluss ergibt sich daraus, dass eine außerordentliche Kündigung nur dann in Betracht kommt, wenn nach einer objektivierten Prognose auch zukünftig nicht mit einer Verhaltensänderung zu rechnen ist (BAG Urteil vom 10.06.2010 - 2 AZR 541/09 (Emmely)).

 

 

4.

Das BAG betont daher auch in seiner Entscheidung vom 09.06.2011, dass eine außerordentliche Kündigung nur dann in Betracht kommt, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind.

 

Das Gericht gibt dem Arbeitgeber ausdrücklich auf, nicht nur die Abmahnung, sondern auch die Umsetzung, Versetzung oder ordentliche Kündigung als Alternativen zu prüfen, wobei im Rahmen der Abwägung ohnehin der Grad des Verschuldens, Dauer des Arbeitsverhältnisses, dessen störungsfreier Verlauf und die Unterhaltspflichten sowie der Familienstand zu berücksichtigen sind.

 

 

5.

Im Jahr 2014 entschied das BAG erneut im Lichte seiner Emmely-Rechtsprechung.

 

Das Gericht bejahte auch in dieser Entscheidung das Vorliegen einer sexuellen Belästigung im Sinne von § 3 Abs. 4 AGG.

 

Beruht jedoch die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, so ist davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst wird, weshalb eine ordentliche und eine außerordentliche Kündigung regelmäßig eine Abmahnung voraussetzt.

 

Ausnahmsweise kommt dies nur dann nicht in Betracht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG Urteil vom 20.11.2014 - 2 AZR 651/13).

 

Kommt es also bei der Frage des wichtigen Grundes nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer die Unerwünschtheit seines Verhaltens erkannt hat, so ist auf der nächsten Stufe, nämlich der Frage der negativen Prognose sehr wohl zu prüfen, ob und wie der Arbeitnehmer sein eigenes Verhalten einschätzte.

 

Nur dann, wenn der Arbeitnehmer wusste, dass sein Verhalten auf Ablehnung stößt, ist überhaupt eine schwere Pflichtverletzung denkbar, die eine Abmahnung überflüssig macht, weil eine negative Prognose für die Zukunft vorliegt.

 

Das BAG stellte daher im entschiedenen Fall ausdrücklich klar, dass der Kläger, der sich über die Unerwünschtheit seines Verhaltens geirrt hat und dieses nach Erkennen seiner Fehleinschätzung beendete, in jedem Fall ein in positiver Hinsicht steuerbares Verhalten an den Tag gelegt hat.

 

Ausdrücklich weist das BAG darauf hin, dass auch eine vermeidbare Fehleinschätzung zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen ist.

 

 

6.

Die derzeit aktuellste Entscheidung des BAG erging am 29.06.2017 (2 AZR 302/16).

 

Auch hier war schon aufgrund des von § 3 Abs. 4 AGG vorgegebenen weiten Rahmens eine sexuelle Belästigung gegeben, weshalb für das Gericht am Vorliegen eines wichtigen Grundes kein Zweifel bestand.

 

Im Rahmen der Gesamtwürdigung der Interessen der Parteien war jedoch auch hier neben dem Gewicht und den Auswirkungen der Vertragspflichtverletzung der Grad des Verschuldens des Klägers zu berücksichtigen, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf.

 

Ausdrücklich weist das BAG auch hier darauf hin, dass eine außerordentliche Kündigung nur dann in Betracht kommt, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind.

 

Das Gericht spricht ausdrücklich von Abmahnung, Versetzung oder der ordentlichen Kündigung.

 

Ebenso verweist das BAG auf die spätestens seit Emmely bekannte Rechtsprechung zum steuerbaren Verhalten des Arbeitnehmers, wonach grundsätzlich davon auszugehen ist, dass sich dessen künftiges Verhalten bereits durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflussen lässt.

 

Das Gericht hatte in dem zu entscheidenden Fall aufgrund zahlreicher vorangegangener Abmahnungen Zweifel daran, ob sich das Verhalten des Klägers zukünftig ändern würde, verneinte allerdings die außerordentliche Kündigung ungeachtet dessen schon vor dem Hintergrund der mehr als dreiundzwanzigjährigen Betriebszugehörigkeit des Klägers, die es ausnahmsweise als zumutbar erscheinen lässt, den Kläger bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen.

 

 

 

Zusammenfassend lässt sich daher feststellen, dass mit Inkrafttreten des AGG der Rahmen möglicher sexueller Belästigungen erweitert wurde und durch den Verzicht auf die Notwendigkeit des Vorsatzes und strafrechtlichen Bezuges, heute erleichtert die Annahme eines wichtigen Grundes bejaht werden kann.

 

Das BAG gibt jedoch in konsequenter Anwendung der Emmely-Entscheidung den Tatrichtern auf den Weg, korrigierend in die sich daraus ergebenden Folgen einzugreifen.

 

Eine solch schwere Pflichtverletzung, die für sich genommen bereits eine negative Prognose in sich birgt, wird nicht der Regelfall sein, sodass regelmäßig von steuerbaren Verhalten auszugehen ist mit der Folge, dass zwingend vorrangig eine Abmahnung auszusprechen ist.

 

Ändert sich das Verhalten des Arbeitnehmers trotz Abmahnung nicht zum Positiven, sind im Rahmen des Ultima-Ratio-Prinzips alternative Möglichkeiten, wie der Versetzung oder Umsetzung zu prüfen.

 

Sind solche Möglichkeiten nicht gegeben oder würden auch diese nicht zum Erfolg führen, ist im Rahmen der Abwägung unter Beachtung der Betriebszugehörigkeit, des Alters, der Unterhaltspflichten und anderer dort relevanter Aspekte, gegebenenfalls der regelmäßig ausgesprochenen hilfsweise ordentlichen Kündigung der Vorzug einzuräumen.

 

Die Rechtsprechung des BAG lässt daher erkennen, dass die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz zwar grundsätzlich einen wichtigen Grund zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses darstellt, jedoch keinen Kündigungs-Automatismus begründet.

 

Der Vorwurf der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz eignet sich daher nicht zur billigen Entsorgung langjähriger männlicher Mitarbeiter.

 

 

RA Raber, 22.06.2018

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