I Vorwort
Was es uns im Einzelnen bringen wird, wissen wir heute noch nicht.
Sicher ist jedenfalls, dass am 01.04.2017 das in weiten Teilen überarbeitete Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) in Kraft tritt.
Die Änderungen sind einschneidend und sie betreffen nicht nur die Unternehmen der Zeitarbeit und die Leiharbeitnehmer selbst, sondern naturgemäß die Einsatzbranche, also die Entleiher.
Jeder Unternehmer, der zeitweise oder regelmäßig Leiharbeitnehmer beschäftigt, sollte sich daher mit den Änderungen dringend vertraut machen.
Ziel des Gesetzes ist es, dem angeblichen Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen zu begegnen.
Die Gesetzesänderung ist ideologisch begründet, weshalb die kritischen Hinweise der Sachverständigen bei Ministerin Nahles (SPD) auch wenig Gehör fanden.
Es steht daher, wie so oft bei Projekten dieser Art, zu befürchten, dass diejenigen, die als schutzbedürftig angesehen werden, nämlich die Leiharbeitnehmer, sehr wenig Vorteile aus dem Gesetz ziehen werden, während sich tatsächlich lediglich der Organisationsaufwand für die Unternehmen der Zeitarbeitsbranche einerseits und der Einsatzbranche andererseits beträchtlich erhöht, Leiharbeitnehmer unnötig springen müssen und die Juristen als eigentliche Gewinner der Gesetzesänderung viel Beschäftigung erhalten.
Konnten Leiharbeitnehmer bislang zumindest nach dem Gesetzeswortlaut unbegrenzt einem Entleiher überlassen werden, so sieht das Gesetz nunmehr eine Begrenzung der Überlassungsdauer auf 18 Monate vor.
Wird diese Höchstüberlassungsdauer überschritten, wird ein Arbeitsverhältnis zum Entleihbetrieb fingiert, der Leiharbeitnehmer wird also zum Stammarbeitnehmer des Entleihbetriebes.
Der Entleihbetrieb sollte daher streng auf die Einhaltung der Befristung achten, um die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zu verhindern.
Verleihbetriebe sollten dies ebenfalls tun, denn der Gesetzgeber sieht im Falle eines Verstoßes einen Bußgeldrahmen von bis zu 30.000,00 € vor.
Hinzukommt, dass der Verleihbetrieb auf diese Weise Arbeitnehmer an den Entleihbetrieb verliert, ohne dafür eine Provision verlangen zu können.
Die Fiktion der Entstehung eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleihbetrieb kann auf zweierlei Weise verhindert werden, nämlich zum einen dadurch, dass der Leiharbeitnehmer eine sogenannte Festhaltenserklärung abgibt.
Dies ist allerdings nur einmalig möglich.
Die Festhaltenserklärung muss außerdem vor ihrer Abgabe gegenüber dem Verleiher oder Entleiher zunächst einer Agentur für Arbeit vorgelegt werden, die den Tag der dortigen Vorlage vermerkt und die Identität des Leiharbeitnehmers überprüft.
Sodann muss die Erklärung im Anschluss innerhalb von drei Tagen dem Verleiher oder Entleiher zugehen.
Allein der damit verbundene bürokratische Aufwand dürfte dazu führen, dass diese Regelung in der Praxis keine Rolle spielen wird.
Eine weitere Möglichkeit der Durchbrechung der Überlassungshöchstdauer ist ein Tarifvertrag.
Interessanterweise kommt es jedoch nicht auf einen Tarifvertrag zwischen denen an, die es betrifft, nämlich Leiharbeitnehmer-Vertretung einerseits und Leiharbeitsbranche andererseits, sondern auf einen Tarifvertrag der Einsatzbranche.
Maßgeblich ist also ein Tarifvertrag zwischen der jeweiligen Einzelgewerkschaft einerseits und der Branche des Entleihbetriebes andererseits.
Bewusst hat der Gesetzgeber also die Materie dort weggenommen, wo sie eigentlich hingehört, weshalb Kritiker nicht zu Unrecht von einer „Tarifentmündigung“ der Leiharbeitsbranche sprechen.
Ob die einzelnen Branchenarbeitgeberverbände das Thema bei Tarifverhandlungen aufgreifen werden, wird abzuwarten sein.
Näher liegt es, dass die Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten zukünftig auf sehr viel pragmatischere Weise durchbrochen wird.
Gem. § 1 Abs. 1 b AÜG n. F. stellt ein Zeitraum von mehr als drei Monaten zwischen den einzelnen Einsätzen eine Unterbrechung dar, welche dazu führt, dass die Höchstüberlassungsdauer von neuem beginnt.
Soll der Eintritt der Fiktionswirkung also vermieden werden, so sollte vor Fristablauf der Einsatz im Entleihbetrieb beendet und sodann nach Ablauf von mindestens drei Monaten wieder aufgenommen werden.
Durch dieses Rotationsmodell kann die Fiktionswirkung umgangen werden, wobei Vorsicht geboten ist, denn das BAG hat schon des Öfteren handwerkliche gesetzgeberische Fehler dieser Art korrigiert (z. B. Kettenbefristungen).
Nach der alten Regelung war der Leiharbeitnehmer im Entleihbetrieb ebenso zu vergüten, wie ein vergleichbarer Arbeitnehmer der Stammbelegschaft.
Dieser Grundsatz entfiel dann, wenn ein Tarifvertrag der Zeitarbeitsbranche etwas anderes regelte, was regelmäßig der Fall war.
Nachdem das BAG in seiner letzten CGZP-Entscheidung der Leiharbeitsbranche unterstellte, brachengünstige Tarifverträge mit willfährigen Gewerkschaften abzuschließen, kam der Gesetzgeber auch hier zu dem Schluss die Leiharbeitsbranche vollständig tarifentmündigen zu müssen.
Nach der Neuregelung werden Leiharbeitnehmer neun Monate nach Einsatzbeginn hinsichtlich des Arbeitsentgelts mit den Stammarbeitnehmern beim Entleiher gleichgestellt (sogenanntes Equal Pay), d. h. neun Monate nach Einsatzbeginn kommt es auf Tarifverträge der Leiharbeitsbranche nicht mehr an, sondern nur noch auf die Konditionen im Entleihbetrieb.
Insbesondere die Unternehmen der Leiharbeitsbranche müssen sich diese Frist notieren, denn Verstöße gegen Equal Pay sind nicht nur mit Lohnzahlungsklagen der betroffenen Arbeitnehmer verbunden, was regelmäßig im überschaubaren Raum bleibt, sondern mit SV-Nachzahlungen nach Betriebsprüfungen mit einer Haftungsdauer von mindestens vier Jahren, bei Vorsatz, der regelmäßig angenommen wird, sogar 30 Jahre.
Besonders einschneidend sind die Bußgelder, die bis zum Betrag von 500.000,00 € verhängt werden können, verbunden mit dem Entzug der Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis.
Die Neunmonatsfrist verlängert sich um sechs Monate auf insgesamt 15 Monate, wenn es in der Entleiherbranche (also nicht Leiharbeitsbranche) einen Branchenzuschlagstarifvertrag gibt, der eine stufenweise Heranführung des Arbeitsentgelts an Equal Pay vorsieht.
Ob es hierzu zukünftig kommen wird, bleibt abzuwarten, die Leiharbeitsbranche hat jedenfalls keinen Einfluss darauf.
In der Praxis wird die Regelung daher dazu führen, dass nach einer Überlassung von neun Monaten Schluss ist, bevor die Equal Pay - Regelung eintritt, sodann eine dreimonatige Zäsur beginnt (Unterbrechung) und anschließend der Einsatz wiederum für neun Monate aufgenommen wird.
Durch dieses Rotationsmodell wird der Eintritt des Equal Pay und der Eintritt der Höchstüberlassungsdauer verhindert, zumindest solange bis das BAG nicht aufgerufen ist über eine zu erwartende derartige Rotationspraxis zu entscheiden.
3. Personalgestellung im öffentlichen Dienst
Sogenannte Personalgestellungen auf der Grundlage von Tarifverträgen des öffentlichen Rechts nach § 4 Abs. 3 TVÖD und § 4 Abs. 3 TV-L bleiben weiterhin privilegiert.
Der Gesetzgeber sieht darin eine zulässige Form der dauerhaften Arbeitnehmerüberlassung, als sogenannte Bereichsausnahme.
4. Streikbrecher
Ausdrücklich ausgeschlossen hat der Gesetzgeber nunmehr den Einsatz von Leiharbeitnehmern, als sogenannte Streikbrecher.
Leiharbeitnehmer dürfen im streikenden Betrieb keine Streikarbeit übernehmen.
5. Betriebsverfassungsrecht
Unterliegt der Entleihbetrieb dem Betriebsverfassungsrecht, ist also ein Betriebsrat im Amt, gelten nunmehr Besonderheiten für die Schwellenwerte, denn Entleiher werden nunmehr hinzugezählt.
Damit folgt der Gesetzgeber der Rechtsprechung des BAG in den vergangenen Jahren.
Betroffen hiervon ist die Anzahl der Mitarbeiter in einem Betrieb gemäß § 1 Abs. 1 BetrVG, nämlich mindestens fünf Arbeitnehmer (nunmehr einschließlich Leiharbeitnehmer), die Wahlberechtigung gem. § 7 S. 1 BetrVG, die Wählbarkeit gem. § 8 Abs. 1 S. 2 BetrVG, die Größe des Betriebsrats (§ 9 BetrVG), die Anzahl der Freistellungen (§ 38 Abs. 1 S. 1 BetrVG), die Auflösung des Betriebsrats (§ 23 Abs. 1 S. 1 BetrVG), die Mitbestimmung bei personellen Einzelmaßnahmen (§ 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG) und die Beteiligung des Betriebsrats an wirtschaftlichen Angelegenheiten (Wirtschaftsausschuss) gem. § 106 BetrVG.
Ausgenommen ist lediglich der Schwellenwert gem. § 112 a BetrVG, also der erzwingbare Sozialplan, wenn sich eine geplante Betriebsänderung ausschließlich auf die Entlassung von Arbeitnehmern beschränkt.
Zweck der Gesetzesänderung ist die Stärkung der Betriebsräte.
Es soll verhindert werden, dass der Arbeitgeber durch den Einsatz von Leiharbeitnehmern de facto eine entsprechende Betriebsgröße schafft, de jure jedoch die Schwellenwerte unterläuft.
Ein wesentliches Ziel der Änderung des AÜG ist die Bekämpfung von Scheinwerkverträgen.
Die Vertragspartner schließen einen Werkvertrag.
Tatsächlich erbringt der Auftragnehmer jedoch keine Werkleistung, schuldet selbst also keinen werkvertraglichen Erfolg, sondern stellt sein Personal.
Das Personal ist de facto in den Betrieb des Auftraggebers eingegliedert und den Weisungen des Auftraggebers unterworfen.
Es handelt sich also tatsächlich um Arbeitnehmerüberlassung.
Dies führte schon in der Vergangenheit dazu, dass zwischen dem entliehenen Arbeitnehmer und dem Auftraggeber gem. § 10 Abs. 1 AÜG i. V. m. § 9 Nr. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis fingiert wurde.
Um dies zu vermeiden wurde vorgesorgt.
Der Auftragnehmer, der sein Personal zur Verfügung stellte, beschaffte sich vorsorglich eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis.
Stellte sich heraus, dass der Werkvertrag in Wirklichkeit ein Scheinwerkvertrag war und damit als Arbeitnehmerüberlassung zu behandeln war, so konnte der Auftragnehmer seine Erlaubnis vorzeigen, sodass zumindest kein Arbeitsverhältnis zwischen dem Auftraggeber (Entleiher) und Arbeitnehmern des Auftragnehmers (Leiharbeitnehmer) entstand.
Das BAG hat ausdrücklich bestätigt, dass die vorsorglich eingeholte Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis wie ein Fallschirm wirkt, also ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher nicht zustande kommt (BAG Urteil vom 12.07.2016 - 9 AZR 352/15).
Damit wird zukünftig Schluss sein.
Ein vermeintlicher Werkunternehmer, der tatsächlich keine Werkleistung beauftragt, sondern die Arbeitnehmer des Auftragnehmers übernimmt und in seinen Betrieb eingegliedert wird auch bei Vorlage einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis nicht anders gestellt, als derjenige, der unerlaubt Arbeitnehmerüberlassung betreibt.
Betreiben mehrere Unternehmen, beispielsweise im Rahmen einer ARGE einen gemeinschaftlichen Betrieb, verfolgen Sie also im Rahmen einer unternehmerischen Zusammenarbeit mit dem Einsatz ihrer jeweiligen Arbeitnehmer einen gemeinsamen Betriebszweck, so liegt keine Arbeitnehmerüberlassung vor.
Eine Arbeitnehmerüberlassung scheidet daher von vornherein aus, wenn die Arbeitnehmer in einen solchen Gemeinschaftsbetrieb entsandt werden, der gemeinsam durch die beiden Vertragsarbeitgeber geführt wird.
Dabei sieht das Gesetz auch keine zeitliche Begrenzung vor, wie es bei einer ARGE in der Baubranche typischerweise der Fall ist.
Entscheidend ist, dass es anders als bei der Arbeitnehmerüberlassung nicht zu einer Eingliederung des Arbeitnehmers in eine fremde Betriebsorganisation kommt.
Der Arbeitnehmer verbleibt vielmehr in der Betriebsorganisation seines Arbeitgebers, der die Betriebsführung nicht allein, sondern zusammen mit einem anderen oder mehreren anderen Arbeitgebern ausübt.
Die Gesetzesänderungen betreffen infolge der Fiktion eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleihbetrieb, die Entleiher nach Ablauf der Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten, im Übrigen die Entleiher/Auftraggeber bei prekären Vertragsverhältnissen (sogenannte Werkverträge).
Insbesondere die beachtlichen Bußgeldbeträge werden bei der Überschreitung der Höchstarbeitsdauer die Gerichte beschäftigen.
Gravierender ist der Einschnitt bei den Unternehmen der Leiharbeitsbranche, da das Gesetz die gesamte Branche tarifunmündig gemacht hat und de facto die Höchstüberlassungsdauer auf neun Monate begrenzt hat.
Was bleibt ist, dass die Überlassungszeiten meist unter neun Monaten liegen, so dass sich das Gesetz dort nicht auswirkt und für den Fall, dass die Überlassung tatsächlich länger als neun Monate dauern sollte, eine Rotation für mindestens drei Monaten stattfinden muss.
RA Raber, 02.01.2017