Ver.di klagt gegen ein Erfurter Frisörunternehmen auf Zahlung der Differenz zwischen dem Mindestlohn in Höhe von 6,50 € und dem tatsächlich gewährten Stundenlohn von 3,82 €.
Betrachtet man dies isoliert, so stellt sich jedermann die Frage, warum der Frisörbetrieb nicht einfach den Mindestlohn bezahlt.
Der Mindestlohn beträgt für die neuen Bundesländer bei tarifgebundenen Parteien ab 01.08.2013 sonst ab 01.11.2013 6,50 €/h.
Nach dem bisherigen und in Nachwirkung befindlichen Lohn- und Gehaltstarifvertrag für das Frisörhandwerk des Landes Thüringen beträgt der Stundenlohn 3,82 €.
Dieser Stundenlohn ist jedoch nicht alleiniger Vergütungsbestandteil.
Gemäß § 5 des Lohn- und Gehaltstarifvertrages für das Frisörhandwerk in Thüringen erhält der Beschäftigte 30 % des Umsatzes, der über einen Sollumsatz von 3.500,00 DM, heute 1.750,00 € hinausgeht.
Eine geübte Frisörin/Frisör erzielt ohne Weiteres einen monatlichen Nettoumsatz in Höhe von 3.500,00 € bis 4.000,00 €, so dass sich bei 4.000,00 € eine Umsatzbeteiligung in Höhe von
675,00 € ergibt zzgl. Stundenlohn im Rahmen einer 30 h/Woche bei 3,82 € 496,60 €, zusammen also 1.171,60 € brutto.
Dies ist freilich kein Spitzenlohn, spiegelt jedoch ausgehend von einer 30 h/Woche einen Stundenlohn in Höhe von 9,00 € wieder und liegt damit um 2,50 € über dem Mindestlohn.
Ver.di sieht dies anders.
Nach der Rechtsauffassung von ver.di ist ab 01.08.2013 für die unmittelbar tarifgebundenen und ab 01.11.2013 für alle anderen Frisörbetriebe der Mindestlohn in Höhe von 6,50 € zu bezahlen und darüber hinaus alle weiteren bisherigen Lohnbestandteile, wie die vorgenannte variable Vergütung, Zulagen etc.
Wäre diese Rechtsauffassung richtig, so würde sich schlagartig der Stundenlohn um 2,68 € erhöhen, in einem Betrieb mit zehn Mitarbeitern bei durchschnittlich 30 h/Woche auf ca. 3.500,00 €/Monat zzgl. Arbeitgeberanteil.
Ver.di klagt derzeit vor der 2. Kammer des Arbeitsgerichts Erfurt und hat bereits angekündigt, im Falle des Obsiegens flächendeckend gegen die Frisörbetriebe in Thüringen vorzugehen.
Was dies für die Betriebe bedeutet, sollte ver.di gewinnen, kann man sich leicht ausmalen.
Das Arbeitsgericht Erfurt wird zügig entscheiden, die unterliegende Partei wird in Berufung zum Thüringer Landesarbeitsgericht gehen.
Das Thüringer Landesarbeitsgericht wird nicht vor Ablauf von ein bis zwei Jahren entscheiden, so dass selbst dann, wenn der Rechtsstreit nicht in die Revision zum BAG geht, mit einer rechtskräftigen Entscheidung vor Ablauf von zwei Jahren nach Inkrafttreten des Mindestlohntarifvertrages nicht zu rechnen ist.
Dies bedeutet, dass im Falle eines Sieges von ver.di Thüringer Frisörhandwerksbetriebe rückwirkend für zwei Jahre auf Nachzahlung der Differenz in Anspruch genommen werden.
Bei einem Betrieb mit zehn Mitarbeitern und einer durchschnittlichen Beschäftigungszeit von
30 h/Woche bedeutet die Rechtsauffassung von ver.di eine Lohnsteigerung in Höhe von
ca. 3.500,00 €/Monat, bei zwei Jahren ca. 84.000,00 €.
Ein solcher Nachzahlungsanspruch zzgl. Arbeitgeberanteile würde die Mehrzahl der Thüringer Frisörhandwerksbetriebe vernichten.
Gegen die Auffassung von ver.di spricht eine Entscheidung des BAG vom 18.04.2012.
Das BAG hatte in dieser Entscheidung zu einem ähnlichen Sachverhalt, betreffend die Gebäudereiniger entschieden.
Nach Auffassung des BAG kommt es für die Frage, ob und inwieweit der Arbeitgeber den Anspruch auf Mindestlohn durch anderweitige Leistungen erfüllt, darauf an, welchen Zweck die anderen Leistungen haben.
Sind diese Leistungen als funktional gleichwertig zum Mindestlohn anzusehen, sind sie anzurechnen.
Funktionale Gleichwertigkeit ist gegeben, wenn damit die „Normalleistung“ abgegolten wird.
Dies ist beispielsweise bei Erschwerniszulagen nicht der Fall.
Der variable Lohn, der neben dem Mindestlohn nach dem Thüringer Entgelttarifvertrag gezahlt wird, ist nach unserer Auffassung und der Auffassung des Zentralverbandes des Deutschen Frisörhandwerks ergänzender Vergütungsanteil für die vom Frisör erbrachte Normalleistung.
Dementsprechend bewertet auch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit die variablen Bestandteile als funktional gleichwertig bei der Berechnung des Mindestlohnes.
Gleichwohl bleibt die Auseinandersetzung spannend.
Das Arbeitsgericht Erfurt hat sich im Gütetermin am 27.01.2014 für die Rechtsposition von ver.di ausgesprochen, zwei andere Kammern des Arbeitsgerichts Erfurt, die mit ähnlichen Fragen befasst sind, haben dies relativiert.
Wer sichergehen will, ist gut beraten, nicht zuzuwarten, bis das LAG oder das BAG den Erfurter Pilotfall entschieden hat.
In der Mehrzahl der Thüringer Frisörhandwerksbetriebe sind max. zehn Arbeitnehmer beschäftigt, so dass Kündigungsschutz regelmäßig nicht besteht.
Dies eröffnet Gestaltungsspielräume für Änderungskündigungen, die bereits jetzt genutzt werden müssen, nicht erst in zwei Jahren, wenn das Kind im Brunnen liegt.
Im Anschluss an den Kammertermin vor dem Arbeitsgericht Erfurt am 27.03.2014 ist mit einer Entscheidung zu rechnen.
RA Raber, 25.03.2014