Am 26.03.2014 entschied das Bundesverfassungsgericht über eine Verfassungsbeschwerde des Arbeitgeberverbandes Einzelhandelsunternehmen Berlin- Brandenburg, der eine Verletzung der Koalitionsfreiheit gem. Art. 9 Abs. 3 GG rügte. Hintergrund war eine sogenannte Flashmob- Aktion.
Der Begriff Flashmob, also Blitz für Flash und beweglich für Mob bezeichnet im englischen eine aufgewiegelte Volksmenge also einen scheinbar spontanen Menschenauflauf. Bedeutung hat dieses Verfahren des Protestes infolge moderner Medien wie mobile Telefone und Internet gewonnen, da sich hierdurch Personen die sich u. a. nicht kennen kurzfristig zu kollektiven Aktionen zusammenfinden. Dabei wird regelmäßig ein öffentlicher Ort als Treffpunkt und ein genauer Zeitpunkt angegeben. Des Weiteren erfolgen Angaben über die Aktion selbst und ggfs. hierzu mitzubringende Gegenstände und Kleidung.
1.In dem vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall hatte die beklagte Gewerkschaft Ver.di ein virtuelles Flugblatt veröffentlicht, in der die Leser gefragt wurden, ob sie Lust hätten, sich an einer Flashmob- Aktion zu beteiligen. Diese sollte darin bestehen, dass in einer bestreikten Filiale eines Einzelhandelsunternehmens, in der Streikbrecher arbeiten gezielt „eingekauft“ werden sollte.
Dabei wurde den Lesern mitgeteilt, wie diese „Einkaufe“ aussehen sollten, nämlich
„z.B. so: viele Menschen wie möglich kaufen zur gleichen Zeit einen Cent- Artikel und blockieren damit für längere Zeit den Kassenbereich. Viele Menschen packen zur gleichen Zeit ihre Einkaufswagen voll (bitte keine Frischware!!!) und lassen sie dann stehen“.
Im Dezember 2007 wurde sodann durch die Gewerkschaft in einer Filiale eines Mitgliedsunternehmens eine solche Aktion durchgeführt. Es beteiligten sich daran zwischen 40 und 50 Personen, die zuvor per SMS von der Gewerkschaft in die Filiale bestellt worden waren. Der Streik verlief sodann dergestalt, dass zunächst Personen mit Jacken oder Stickern mit der Aufschrift der Gewerkschaft eintrafen und Flugblätter aufklebten sowie verteilten und die streikbrechenden Arbeitsnehmerinnen zur Streikteilnahme aufforderten. Sodann begaben sich weitere etwa 40 Personen in die Filiale und verkauften Cent- Artikel mit der Folge, dass sich an den Kassen Warteschlagen bildeten. Andere Personen füllten ca. 40 Einkaufswagen mit Waren und ließen diese ohne Begründung in den Gängen oder im Kassenbereich stehen. Die gesamte Aktion dauerte etwa eine Stunde.
2. Der Arbeitsgeberverband des Einzelhandelsunternehmens erhob Unterlassungsklage gegen die Gewerkschaft vor dem Arbeitsgericht Berlin. Das Arbeitsgericht Berlin wies die Klage ab. Auch die Berufung zum LAG Berlin- Brandenburg verblieb erfolglos. Die Revision zum BAG wurde ebenfalls als unbegründet zurückgewiesen. Das BAG begründete seine Entscheidung damit, dass sogenannte Flashmob- Aktionen nicht generell rechtswidrig seien. Zwar stellen diese regelmäßig einen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar, jedoch sei dieser aus Gründen des Arbeitskampfrechts gerechtfertigt. Es komme lediglich darauf an, ob tarifliche Ziele verfolgt werden. Die Art des gewählten Mittels sei nicht relevant. Dem stehe auch nicht entgegen, dass sich an der Aktion Dritte beteiligen.
3. Nachdem der Arbeitgeberverband auf diese Weise den Instanzenzug ausgeschöpft hatte, wandte er sich mit Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht und rügt hier insbesondere die Verletzung der Art. 9 Abs. 3 GG (Koalitionsfreiheit), Art. 12 GG (Berufsfreiheit) und Art. 14 GG (Eigentumsgarantie). Die Verfassungsbeschwerde wurde durch das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen. Das Gericht verneinte bereits die grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Das Bundesverfassungsgericht führt in seiner Begründung aus, dass das Arbeitskampfrecht nicht auf die traditionell anerkannten Formen des Streiks und der Aussperrung beschränkt ist, sondern bei der Ausgestaltung des Arbeitskampfrechts ein weiter Handlungsspielraum besteht. Die Zulässigkeit von Arbeitskampfmitteln orientiert sich freilich am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, weshalb sich aus dem Gesichtspunkt der Proportionalität kein einseitiges Übergewicht bei Tarifverhandlungen ergeben soll. Dass sich an Flashmob- Aktionen, anders als an Streiks Dritte beteiligen, die erheblich weniger beeinflussbar sind als Gewerkschaftsmitglieder, sieht das Bundesverfassungsgericht nicht als Problem an, solange erkennbar ist, dass es sich nicht um eine „wilde“, sondern eine gewerkschaftlich getragene Aktion handelt. Auch bestünden wirksame Gegenmaßnahmen der Arbeitsgeberseite, denn der Arbeitsgeber könne ein Hausverbot als Mittel zur Abwehr aussprechen und für den Fall, dass dem keine Folge geleistet wird Strafanzeige gem. § 123 Abs. 1 StGB (Hausfriedensbruch) erstatten. Außerdem könne die Arbeitgeberseite dem Flashmob seine Wirkung dadurch nehmen, dass sie den Betrieb vorübergehend schließt, wodurch auch die Streikbrecher ihren Lohnanspruch verlieren würden.
4. Die Entscheidung stieß, wie schon die Entscheidung des BAG zur Zulässigkeit von Sympathiestreiks auf allgemeines Unverständnis, nicht nur auf Arbeitsgeberseite.
Vielfach wurde eingewandt, dass das BAG in seiner Flashmob Entscheidung nur über das Bestehen eines Unterlassungsanspruches des Arbeitsgeberverbandes gegen die aufrufende Gewerkschaft zu entscheiden hatte, nicht über Ansprüche des Arbeitsgebers gegen seine Arbeitnehmer. Ebenso war zu lesen, dass sich der Beschluss des BVerfG allein auf den abwehrrechtlichen Schutz der Koalitionsfreiheit im Verhältnis der Grundrechtsträger zum Staat bezieht, jedenfalls mithin nicht auf das Verhältnis Arbeitgeber/ Arbeitnehmer oder Betriebsinhaber geg. Dritten.
Insofern bleibt freilich auch nach der Entscheidung des BAG und des BVerfG dem Betriebsinhaber die Möglichkeit Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch zu erstatten oder Schadenersatzansprüche zumindest gegen Dritte geltend zu machen.
Allerdings darf die Wertung nicht unterschätzt werden, die von der Entscheidung ausgeht und die freilich auf Strafverfahren und die Durchsetzung deliktischer Ansprüche ausstrahlen wird.
Hinzu kommt der rein praktische Gesichtspunkt, dass sich weder strafrechtliche noch zivilrechtliche Maßnahmen in der Praxis durchsetzen lassen. Ziel von Flashmob- Aktionen ist die vorübergehende Besetzung der Geschäftsräume, wobei ein Hausverbot zwangläufig ignoriert wird.
Soweit das BVerfG ernsthaft der Arbeitgeberseite eine suspendierende Betriebsstillegung empfiehlt, geht dies völlig an der Sache vorbei, denn der Arbeitgeber schießt in zweierlei Hinsicht ein Eigentor. Zum einen entstehen ihm erhebliche Verluste während der Betriebsstilllegung, zum anderen treibt er die nicht streitwilligen Mitarbeiter auf diese Weise zwangsläufig in die Arme der Gewerkschaft.
Das BVerfG hat auch nicht erkannt, welche Bedeutung dem Einsatz Dritter im Rahmen von Flashmob- Aktionen zukommt. Es geht dabei nämlich nicht lediglich darum, ob und inwieweit das Verhalten Dritter mehr oder weniger beeinflussbar ist, sondern darum, dass auf diese Weise Arbeitskampfmaßnahmen gerade dort durchgeführt werden, wo die Arbeitnehmerschaft der Gewerkschaft die Gefolgschaft versagt. Dies spielt gerade im Handel eine große Rolle da der Organisationsgrad dort mit weniger als 10 % sehr niedrig ist und Ver.di genau aus diesem Grunde Dritte benötigt und einsetzt.
Sicherlich besteht bei der Ausgestaltung des Arbeitskampfrechts ein weiter Handlungsspielraum. Dieser Handlungsspielraum besteht allerdings zu Gunsten der Arbeitskampfparteien und der hiervon unmittelbar betroffenen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Die Entscheidung des BAG und des BVerfG ermöglichen den Einsatz Dritter, unter Umständen auch gegen den Willen der streikbereiten Belegschaften und stellen damit die Koalitionsfreiheit auf den Kopf.
Von sogenannten Aktivisten verwüstete Kaufhäuser, wie geschehen im Jahre 2007 in der Stuttgarter Innenstadt werden in Folge dieser Rechtsprechung das Bild zukünftiger Arbeitskämpfe prägen. Es wird Zeit, dass der Gesetzgeber endlich das Arbeitskampfrecht gestaltet.
RA Raber, 01.07.2014,
(BVerfG Beschluss v. 26.03.2014- I. BvR 3185/09)