Fall Emmely – Dürfen langjährige Mitarbeiter klauen?

Der Arbeitgeber sprach zunächst eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Tatkündigung aus und schwenkte im Laufe des Verfahrens auf eine Verdachtskündigung um.

Der Arbeitnehmerin wurde vorgeworfen, Pfandbons im Wert von 1,30 € unterschlagen zu haben.

Zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung war die Arbeitnehmerin seit mehr als 30 Jahren im Unternehmen des Arbeitgebers tätig.

Das Arbeitsgericht Berlin wies die Kündigungsschutzklage der Arbeitnehmerin ab, ihre Berufung zum LAG Berlin-Brandenburg hatte keinen Erfolg.

Der Volkszorn kochte, so dass sich selbst eher besonnenere Teile der Politik zu ungewohnten Entgleisungen hinreißen ließen.

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Arbeitnehmerin hatte Erfolg, das BAG entschied auf ihre Revision in der Sache selbst ohne Zurückverweisung an das LAG.

Die Entscheidung des BAG wurde mit großer Überraschung aufgenommen, scheint das Gericht doch einen Paradigmenwechsel vorgenommen zu haben.

Die nunmehr vorliegenden Entscheidungsgründe erlauben eine nähere Prüfung.

Die bisherige Rechtsprechung des BAG lässt sich wie folgt zusammenfassen:

1.

Auch geringwertige Vermögensdelikte stellen einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 BGB dar, weil der Arbeitnehmer durch ein solches Vermögensdelikt unabhängig vom Wert des Schadens in erheblicher Weise das Vertrauen des Arbeitgebers bricht.

2.

Ob die Tat des Arbeitnehmers für eine außerordentliche Kündigung ausreicht, muss im Rahmen einer Interessenabwägung unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls geprüft werden.

Das BAG hat jedoch in der Vergangenheit nicht ausreichend klargestellt, was in diese Interessenabwägung eingestellt werden soll, so dass die Instanzgerichte zunehmend davon ausgingen, dass Vermögensdelikte als Vorsatzdelikte einen absoluten Kündigungsgrund darstellen.

Diese Rechtsprechung ist fortan nicht mehr haltbar.

1.

In seiner Entscheidung hält das Gericht weiterhin daran fest, dass Vermögensdelikte an sich geeignet sind, eine Kündigung aus wichtigem Grund zu tragen.

Insoweit verbleibt es daher bei der bisherigen Rechtsprechung.

2.

Das Gericht folgt nicht der politischen Diskussion, wonach Wertgrenzen beachtlich sind.

Auch Vermögensdelikte betreffend geringwertige Gegenstände bleiben mithin auch in Zukunft Kündigungsgrund.

3.

Ob sich der Arbeitnehmer letztlich strafbar gemacht hat und damit strafrechtlich verfolgt wird, ist irrelevant.

Relevant für das Arbeitsrecht ist ausschließlich, ob der Arbeitnehmer einen Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten begangen hat und hierdurch ein Vertrauensbruch eingetreten ist.

4.

Es gibt keine absoluten Kündigungsgründe.

Es ist vielmehr jeder Einzelfall abzuwägen, wobei es auf Folgendes ankommt:

a)

Besteht das Arbeitsverhältnis bereits seit langer Zeit beanstandungsfrei, so erwirbt der Arbeitnehmer ein Vertrauenskapital, das möglicherweise so hoch zu bewerten ist, dass eine einzelne Vertrauensenttäuschung des Arbeitgebers noch nicht ausreicht, um einen endgültigen Vertrauensbruch zu rechtfertigen.

b)

In jedem Einzelfall ist zu prüfen, ob mildere Mittel vorrangig in Betracht kommen, nämlich der Ausspruch einer Abmahnung, anstelle einer Kündigung.

So macht es einen großen Unterschied, ob der Arbeitnehmer möglicherweise in rechtlicher Unkenntnis in ein Vermögensdelikt hineinschlittert oder ob er gezielt, gegebenenfalls unter Überwindung von Sicherungseinrichtungen sich einen Vorteil verschafft.

Bei Licht betrachtet, stellt die Entscheidung des BAG keinen Paradigmenwechsel dar.

Das Gericht stellt vielmehr nur klar, was eigentlich schon immer klar war, nämlich dass es keine absoluten Kündigungsgründe gibt, sondern es auf den jeweiligen Einzelfall ankommt.

Rechtsunsicherheit muss darin für den Arbeitgeber nicht begründet sein, solange er vor Ausspruch einer Kündigung die Tat des Arbeitnehmers aus dem Blickwinkel des objektiven Betrachters sieht.

Der Entscheidung des BAG wohnt vielleicht sogar so viel Weisheit inne, dass sie die durch den Fall auf den Plan gerufenen Vorstöße der Politik zur Verdachtskündigung und der Einführung von Wertgrenzen obsolet macht.

RA Raber, 14.02.2011

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