Zur Erinnerung:
Kernbestandteil der AÜG-Novelle der Rot-Grünen-Koalition im Jahre 2002 im Rahmen der Hartz-Reformen war die Gleichbehandlung von Leiharbeitnehmern und Stammbelegschaften, das sogenannte Equal-Pay.
Dieser Grundsatz wurde durch § 3 Abs.1 Nr. 3, § 9 Nr. 2 AÜG aufgeweicht, wonach Abweichungen vom Equal-Pay zulässig sind, wenn sie tarifvertraglich vereinbart wurden.
Damit hat der Gesetzgeber eine bis dahin undenkbare Regelung getroffen, nämlich dass tarifvertragliche Regelungen hinter einer gesetzlichen Regelung zurückbleiben.
Entgegen der Erwartung des Gesetzgebers, dass es ohnehin nicht zu Tarifverträge unterhalb des Equal-Pay kommen würde, trat genau dieser Fall ein.
Im Jahre 2002 gründete sich die CGZP und schloss zum Leidwesen der DGB-Gewerkschaften einen Tarifvertrag nach dem anderen ab, der unter den Arbeitsbedingungen der Stammbelegschaftsmitglieder lag.
Der hiervon ausgehende Druck führte dazu, dass selbst die DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit gezwungen war, Tarifverträge unter dem Lohnniveau der Stammbelegschaften abzuschließen.
Schließlich entschieden sich die DGB-Gewerkschaften im Jahre 2008 die Tariffähigkeit der CGZP in Frage zu stellen und beantragten die Feststellung fehlender Tariffähigkeit gem. § 97 Abs. 1, § 2 a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG vor dem Arbeitsgericht Berlin.
Sowohl das Arbeitsgericht Berlin, als auch die Beschwerdeinstanz, das LAG Berlin gaben dem Antrag der DGB-Gewerkschaften statt und stellten fest, dass der CGZP die Tariffähigkeit fehle.
Hätte das hierauf angerufene BAG ebenso entschieden, so wäre ein Teil des nachfolgenden Streits vermieden worden.
Das BAG folgte in seiner Entscheidung den Vorinstanzen, jedoch mit einer komplett anderen Begründung.
Zwischen den DGB-Tarifvertragsparteien der Leiharbeit und dem CGZP gab es einen wesentlichen Unterschied.
Dieser bestand darin, dass die CGZP einen Spitzenverband darstellt, während die DGB-Gewerkschaften eine Tarifgemeinschaft bilden.
An diesem Punkt setzte das BAG an und stellte Rechtsgrundsätze auf, die es bei der CGZP nicht als gegebenansah.
Das BAG meint, dass die Mitgliedsgewerkschaften einer Spitzenorganisation wie dem CGZP, dieser Spitzenorganisation ihre Tariffähigkeit vollständig vermitteln müssten und außerdem die satzungsmäßige Zuständigkeit einer Spitzenorganisation nicht über diejenige ihrer Mitgliedsorganisation hinausgehen dürfe.
Diese Entscheidung hat berechtigterweise sehr viel Kritik erfahren, da sie mit Artikel 9 Abs. 3 GG nicht zu rechtfertigen ist.
Zu offenbar trat das Ziel zu Tage, die CGZP mit einer Begründung von der Bühne zu fegen, die alleine in ihrer Satzung begründet war.
Was das BAG jedoch übersah, war, dass die CGZP am 08.10.2009, also vor der Entscheidung des BAG am 14.12.2010 ihre Satzung geändert hatte.
Am 08.10.2009 hatte die Satzung bereits einen anderen Inhalt als diejenige, über die das BAG am 14.12.2010 entschied.
Damit stellte sich die Frage, ob die Entscheidung des BAG lediglich rein gegenwartsbezogen ist oder ob sie auch die Zeit vorher und die Zeit nachher einschließt.
Was wie ein akademischer Streit aussieht, ist von eminenter Bedeutung für die Leiharbeit.
Dies betrifft weniger die Frage, in welchem Umfang Leiharbeitnehmern Nachzahlungsansprüche zwischen dem Equal-Pay-Lohnanspruch und dem tatsächlich gezahlten Tarif nach CGZP zustehen, als vielmehr insbesondere die Nachzahlung von SV-Beiträgen.
Die arbeitsrechtliche Praxis hat gezeigt, dass die Arbeitnehmer regelmäßig keine Nachzahlungsansprüche geltend machen.
Dies liegt unter anderem an Ausschlussklauseln in den Arbeitsverträgen und Verjährungsvorschriften.
Anders ist es beim den Sozialversicherungsträgern.
Diese nehmen die Verleihunternehmen auf Druck der in der Selbstverwaltung vertretenen DGB-Gewerkschaften ungeachtet der damit bei kleineren und mittleren Verleihunternehmen zwangsläufigen Insolvenz in Anspruch.
Das BAG hat nunmehr in seinen aktuellen Entscheidungen vom 22.05.2012 und nur einen Tag später am 23.05.2012 den Weg dafür geebnet.
In seiner Entscheidung vom 22.05.2012 hat das BAG die Nichtzulassung einer Rechtsbeschwerde gegen eine Entscheidung des LAG Berlin bestätigt, sodass dessen Entscheidung und die des Arbeitsgerichts Berlin in Rechtskraft erwuchsen.
In diesen Entscheidungen wurde die Tarifunfähigkeit der CGZP für Stichtage in den Jahren 2004 und 2008 festgestellt, mithin vor der Satzungsänderung am 08.10.2009, sodass damit nunmehr feststeht, dass auch für die Zeit vor Satzungsänderung am 08.10.2009 die CGZP-Tarifunfähigkeit feststeht.
War mit diesem Schritt zu rechnen, so befremdet es, dass das BAG tags darauf mit der Zeit nach dem 14.12.2010 ebenso verfuhr.
Hatte das BAG in seinem Beschluss vom 14.12.2010 noch ausgeführt, dass seine Entscheidung gegenwartsbezogen war, so rückte es hiervon nunmehr ab und führte aus, dass ein gegenwartsbezogener Antrag grundsätzlich auch den Zeitraum ab Rechtshängigkeit betrifft.
Deshalb sei auch der Zeitraum ab dem 08.10.2009 nicht anders zu behandeln.
Das BAG kommt damit zu einer totalen Bindungswirkung in zeitlicher Hinsicht und deckt damit alle Zeiträume vor und nach seiner Entscheidung vom 14.12.2010 ab.
Die am 08.10.2009 erfolgte Satzungsänderung interessiert das BAG nicht, obschon genau die Satzung die tragende Begründung seiner Entscheidung war.
Die Entscheidung vom 23.05.2012 trifft ebenso eine Aussage zur personellen Reichweite der CGZP-Entscheidungen.
Das BAG führt aus, dass die Rechtskraft in subjektiver Hinsicht nicht nur die Personen und Stellen erfasst, die im jeweiligen Verfahren nach § 97 Abs. 2 i. V. m. § 83 Abs. 3 ArbGG angehört wurden, sondern entfaltet Wirkung gegenüber jedermann.
Dass sowohl die zeitliche Ausdehnung der Rechtskraft, als auch die personelle Ausdehnung schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet, hat Prof. Dr. Richard Giesen, Universität München in seinem Aufsatz in der FA 8/2012, Seiten 226ff. sehr überzeugend ausgeführt.
Was bleibt, sind die jetzt noch offenen Fragen.
Auch wenn das Gericht die Tarifunfähigkeit für die Vergangenheit bis heute festgestellt hat, so bleibt damit unberücksichtigt, dass Arbeitgeber zu Recht auf die Wirksamkeit der Tarifverträge zumindest bis zum 14.12.2010, der Entscheidung des BAG vertrauen durften.
Dies gilt umso mehr, beachtet man, dass es gerade die Sozialversicherungsträger als Aufsichtsbehörden für die Leiharbeit waren, die beim Beitragseinzug und bei Betriebsprüfung in den letzten Jahren auf die Einhaltung der CGZP-Tarifverträge gedrungen haben und niemals Vorbehalte im Hinblick auf die Wirksamkeit äußerten.
Man darf gespannt sein, wie die Sozialgerichtsbarkeit mit dem Beitragseinzug umgeht.
Anfängliche Freude über Entscheidungen, wie die des hessischen Landessozialgerichts vom 23.04.2012 ( L1KR 95/12 B ER) oder des schleswig-holsteinischen Landessozialgerichts vom 20.04.2012 (L5KR 20/12 B ER) werden dadurch getrübt, dass dort die rückwirkende Unwirksamkeit des Tarifvertrages verneint wird.
Ob es hierbei nach den vorgenannten Entscheidungen des BAG bleibt, wird die spannende Frage sein.
BAG 14.12.2010, 1 ABR 19/10
BAG 22.05.2012, 1 ABN 27/12
BAG 23.05.2012, 1 AZB 67/11
BAG 23.05.2012, 1 AZB 58/11
Manfred Raber
Rechtsanwalt und
Fachanwalt für Arbeitsrecht