Am 05.12.2014 startete mit der Wahl Bodo Ramelows zum Ministerpräsidenten die Rot-Rot-Grüne Koalition ihre Regierungsarbeit.
Grundlage der Tätigkeit der drei Koalitionsparteien die Linke, SPD und Bündnis 90/Die Grünen ist der Koalitionsvertrag in seiner Endfassung vom 20.11.2014.
Breiten Raum nimmt darin die künftige Sozialpolitik, Umwelt- und Naturschutz, Bildung, eine Verwaltungs-, Funktional- und Gebietsreform sowie eine Reform des Landesamtes für Verfassungsschutz anlässlich der Verbrechen des NSU ein.
Wir wollen uns nachfolgend mit den für unsere Kanzlei prägenden Themen Wirtschaft und Arbeit, Wohnen und Bauen und dem Punkt Rechtspolitik/Justiz auseinandersetzen.
1. Wirtschaft und Arbeit
Der Koalitionsvertrag spricht an mehreren Stellen von „guter Arbeit“. Eine positive Definition dieses Begriffes erfolgt nicht, jedoch lässt sich aus der Aufzählung von als „prekär“ bezeichneter Arbeitsverhältnisse erkennen, was mit „guter Arbeit“ gemeint ist.
Die Koalition versteht darunter augenscheinlich sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse, wobei die Entlohnung nach Tariflöhnen erfolgt.
Als prekäre Arbeitsverhältnisse werden Beschäftigungen aufgrund von Werkverträgen, Leiharbeit, geringfügige Beschäftigungsverhältnisse sowie Beschäftigung aufgrund sachgrundloser Befristung aufgezählt.
Das Instrument zur Bekämpfung solch „prekärer“ Arbeitsverhältnisse soll in der öffentlichen Förderung liegen.
Der Schlüssel hierfür dürfte in den Ausführungen des Koalitionsvertrages zum Vergabe- und Tariftreuegesetz liegen.
Dort sollen „gegebenenfalls“ Änderungen vorgenommen werden, wobei geprüft werden soll, wie die Gültigkeit der ILO-Kernarbeitsnormen über die bisherige Regelung hinaus in das Gesetz verankert werden sollen.
Bezüglich ÖPNV wird klargestellt, dass öffentliche Aufträge nur noch an Unternehmen vergeben werden, die mindestens das in Thüringen für die Leistung in einem einschlägigen und repräsentativen Tarifvertrag vorgesehene Entgelt zahlen.
Es ist dementsprechend davon auszugehen, dass Änderungen am Thüringer Vergabegesetz anstehen.
§ 97 Abs. 4 S. 2 GWB lässt es zu, an Auftragnehmer zusätzliche Anforderungen zu stellen, die soziale, umweltbezogene oder innovative Aspekte betreffen.
Allerdings kommt es darauf an, dass eine entsprechende Forderung im Zusammenhang mit dem konkreten Auftrag erhoben wird.
Es kann daher nicht darauf abgestellt werden, ob im Betrieb des Bieters allgemein und bei anderen Vorhaben Tariflöhne gezahlt werden (OLG Düsseldorf Beschluss vom 30.12.2010-Verg. 24/10).
Hinsichtlich der Leiharbeit macht der Koalitionsvertrag insoweit eine Einschränkung bei der negativen Beurteilung im Rahmen prekärer Arbeitsverhältnisse, als diese durchaus als zeitlich begrenztes Instrument zur Überbrückung großer Auftragsschwankungen in Unternehmen angesehen wird.
Soweit der Koalitionsvertrag im Übrigen ausführt, dass sich die Koalition dafür einsetze, die in Leiharbeit Beschäftigten mit den Stammbelegschaften weitestgehend gleich zu stellen, um somit Equal Pay durchzusetzen, ist darauf hinzuweisen, dass Equal Pay bereits im § 10 Abs. 4 AÜG verankert ist.
Die Abschaffung des Tarifvorbehaltes gem. § 10 Abs. 4 S. 2 AÜG dürfte kaum Sache des Landesgesetzgebers sein.
Gleiches gilt für den Anspruch der Koalitionäre, geringfügige Beschäftigungsverhältnisse sowie die sachgrundlose Befristung zurück zu drängen.
Denkbarer Hebel ist auch insoweit jeweils die im Koalitionsvertrag genannte öffentliche Förderung bzw. das Vergaberecht, denn die berechtigte Kritik der Koalitionäre an der Ausdehnung geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse sowie Kettenbefristungen im Rahmen sachgrundloser Befristungen, kann nur durch den Bundesgesetzgeber aufgenommen werden.
Eine Änderung soll das Thüringer Personalvertretungsgesetz erfahren.
Abweichend von der bisherigen Regelung soll es auch für Fälle der eingeschränkten Mitbestimmung eine Einigungsstelle geben.
Dies stellt aus hiesiger Sicht einen Systembruch dar, denn Einigungsstellen kann es nur im Bereich der zwingenden Mitbestimmung geben.
Darüber hinaus soll ein Landespersonalrat, anstelle der bisherigen Arbeitsgemeinschaft auf Landesebene geschaffen werden.
2. Wohnen
Beachtlichen Raum nimmt das Wohnen ein.
Der Koalitionsvertrag bekennt sich in Anbetracht unverhältnismäßig hoher Mieten, insbesondere in den Zentren Erfurt, Weimar und Jena zu mehr Wohnungsbau.
In diesem Zusammenhang soll besonders der kommunale und genossenschaftliche Wohnungsbau unterstützt werden.
Geprüft werden soll in diesem Zusammenhang, ob eine Befreiung von der Grunderwerbssteuer in Betracht kommt.
Geprüft werden soll bei kommunalen Wohnungsbauunternehmen eine Entlastung von bestehenden Altschulden.
Die Förderung des Wohnungsbaus soll nicht nur den sozialen Wohnungsbau betreffen, sondern es sollen die Städte mit angespanntem Wohnungsmarkt bei der bedarfsorientierten Bereitstellung von Bauland unterstützt werden.
Ganz wesentlich ist, dass die Koalitionäre die seit langem diskutierte Mietpreisbremse im Wege einer Verordnung umsetzen wollen.
Danach sollen künftig die tatsächlichen Bestandsmieten der Ermittlung der maximalen Miethöhe zugrunde liegen.
Dies soll in Abstimmung mit den betroffenen Kommunen, voraussichtlich Erfurt, Weimar und Jena zügig auf dem Weg gebracht werden.
Die neue Landesregierung will allerdings auch die energetische Sanierung von Gebäuden in geeigneter Weise befördern.
Ihr Ziel ist es, jedes Jahr 2 % aller Gebäude energetisch zu sanieren.
Dabei soll ab 2015 der Plus-Energiestandard gelten.
Für Eigentümer mit geringerer Finanzkraft sollen die Spielräume für die Vorfinanzierung durch Dritte erweitert werden.
In diesem Zusammenhang wird ausdrücklich die Thüringer Aufbaubank erwähnt.
Die Tilgung der Investitionskosten soll aus den eingesparten Energiekosten erfolgen.
Der Koalitionsvertrag weist auf die nachhaltige Wirtschaftskraft des Handwerks hin.
Die Ziele im Hinblick auf die energetische Gebäudesanierung wird das Handwerk freuen, insbesondere, wenn vorfinanziert durch die Thüringer Aufbaubank verstärkt Bestandsgebäude ein WDVS erhalten.
Ob es den Eigentümern allerdings gelingen wird, aus einer Energieeinsparung die Investitionskosten zu tilgen, ist mehr als fragwürdig.
3. Justiz
Erfreulicherweise widmet der Koalitionsvertrag der Rechtspolitik/Justiz beachtlichen Raum.
Zu begrüßen ist dabei zum einen, dass die Koalition sowohl die Schwerpunkt Staatsanwaltschaft Mühlhausen (Bekämpfung der Wirtschafts- und Internetkriminalität), als auch die Schwerpunkt Staatsanwaltschaft Gera (organisierte Kriminalität) stärker personell und technisch unterstützen will und zum anderen beabsichtigt, eine Schwerpunkt Staatsanwaltschaft für Umweltkriminalität einzuführen.
Beachtlich ist der Anspruch, die Unabhängigkeit der Gerichte und der Staatsanwaltschaft zu stärken.
Die Unabhängigkeit der Gerichte ergibt sich aus der Verfassung.
Die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft und deren Befreiung von politischer Einflussnahme, wie sie gerade in der vergangenen Legislaturperiode deutlich wurde, wäre wünschenswert.
Immerhin, wenn auch im geringen Umfang, nimmt der Koalitionsvertrag Bezug auf das Personalproblem in der Justiz.
Es wird offensichtlich, dass erstmals ein erfahrener und langjährig tätiger Richter am Landgericht Erfurt an einem Koalitionsvertrag mitgewirkt hat.
So soll ein Personalentwicklungskonzept vorgelegt werden mit dem Ziel der Verjüngung des Personalkörpers.
Des Weiteren soll aufgrund der besonderen Altersstruktur in der Thüringer Justiz eine notwendige Einstellungsreserve gebildet werden.
So sollen durch zusätzliche Einstellungen in allen Justizlaufbahnen die in den kommenden Jahren sprunghaft ansteigenden Altersabgänge zur Aufrechterhaltung des Dienstbetriebes kompensiert und auf diese Weise die Arbeitsfähigkeit der Justiz in Thüringen gesichert werden.
Verwiesen wird darauf, dass dies insbesondere für den mittleren Dienst gilt.
Das von den Koalitionären zu Recht erkannte Problem besteht sicherlich auch für den mittleren Dienst, in ganz erheblichem Umfange jedoch für alle Richter und Staatsanwälte, deren enorme Arbeitsbelastung durch das Personalbedarfsberechnungssystem (PEBB§y) nur äußerst fragwürdig erfasst wird.
Es wäre daher vor diesem Hintergrund wünschenswert gewesen angesichts der von den Koalitionären erkannten Bedeutung der Rechtspflege gerade im Bereich der Verbrechensbekämpfung, wenn die Personalförderung gleiches Gewicht erhalten hätte, wie es die Koalitionäre der Sicherung der Bildung durch Einstellung von 500 Lehrern pro Jahr beigemessen haben.
Ein solcher Schwerpunkt fehlt bislang im Koalitionsvertrag betreffend die Justizpolitik.
Der Koalitionsvertrag greift zahlreiche wichtige landespolitische Themen auf und sendet starke Signale in die Bundespolitik.
Ob es bei den Signalen bleibt oder mehr daraus wird, hängt davon ab, welche Erfolge die neue Landesregierung in den nächsten Jahren vorweisen kann.
RA Raber, 18.12.2014