Keine OT-Mitgliedschaft bei Handwerksinnungen

In den vergangenen Jahren sind gerade kleine und mittelständische Unternehmen oftmals in einen Zwiespalt geraten.

 

Als Mitglied des Arbeitgeberverbandes sahen sie sich einerseits oftmals durch Flächen-Tarifabschlüsse überfordert, scheuten andererseits allerdings auch einen Austritt, zumal die Arbeitgeberverbände neben der reinen Tarifpolitik wichtige Dienstleistungen zur Verfügung stellen.

 

Um diesen Zwiespalt aufzulösen, bieten die Arbeitgeberverbände sogenannte OT-Mitgliedschaften an, also Mitgliedschaften ohne Tarifbindung.

 

1.

Bereits im Jahre 2010 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass OT-Mitgliedschaften im Einklang mit Art. 9 GG stehen.

 

Arbeitgebern ist es unbenommen, Mitglied eines Arbeitgeberverbandes zu werden, ohne sich zur Anwendung der geltenden Verbandstarifverträge zu verpflichten.

 

Allerdings muss die Satzung des Arbeitgeberverbandes eine strikte Trennung der Rechte und Pflichten von Vollmitgliedern einerseits und Mitgliedern ohne Tarifbindung andererseits vorsehen.

 

Dies deshalb, weil verhindert werden muss, dass Mitglieder ohne Tarifbindung auf die Kündigung oder den Abschluss von Tarifverträgen Einfluss nehmen können (BVerfG Beschluss vom 01.12.2010 1BvR 2593/09).

 

Damit bestätigte das Bundesverfassungsgericht die Rechtsauffassung des Bundesarbeitsgerichts, das die OT Mitgliedschaft bereits im Jahre 2006 für zulässig gehalten hat (BAG Beschluss vom 18.07.2006 1 ABR 36/05).

 

2.

Nunmehr hatte das Bundesverwaltungsgericht über die Frage zu entscheiden, ob auch Handwerksinnungen in ihrer Satzung eine OT-Mitgliedschaft anbieten können.

 

Im entschiedenen Fall begehrte die Handwerksinnung von der Handwerkskammer die Genehmigung einer Satzungsänderung, mit der eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung eingeführt werden sollte.

 

Die Handwerkskammer lehnte dies ab, worauf die Innung Klage vor dem Verwaltungsgericht Braunschweig erhob.

 

Dieses wies die Klage als unbegründet ab.

 

Die dagegen gerichtete Berufung der Innung war erfolgreich, denn das OVG Lüneburg verpflichtete die Handwerkskammer zur Genehmigung der Satzungsänderung.

 

Die Revision der Handwerkskammer hiergegen wiederum hatte Erfolg, das Bundesverwaltungsgericht gab der Handwerkskammer also Recht.

 

Das Bundesverwaltungsgericht bejaht einen Verstoß der Entscheidung des OVG gegen Vorschriften der Handwerksordnung über Handwerksinnungen sowie gegen die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Tarifautonomie.

 

Das OVG vertrat den Standpunkt, dass ein Anspruch auf Genehmigung der Satzungsänderung gemäß § 61 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 Nr. 8 Handwerksordnung besteht, weil die Einführung einer Mitgliedschaft ohne Tarifbindung mit den Vorschriften der Handwerksordnung in Einklang steht.

 

3.

Exakt diese Rechtsauffassung teilt das Bundesverwaltungsgericht nicht.

 

Handwerksinnungen sind Zusammenschlüsse von Inhabern eines Handwerksbetriebes oder eines handwerksähnlichen Gewerbebetriebs, die der Förderung gemeinsamer gewerblicher Interessen nach einem freien Beitrittsentschluss zu einer Körperschaft des öffentlichen Rechts dienen.

 

Die freiwillig erworbene Vollmitgliedschaft nach § 58 der Handwerksordnung zieht alle Rechte und Pflichten nach sich, die sich aus der gemeinsamen Wahrnehmung der in der Handwerksordnung festgelegten öffentlichen Aufgaben der Innung ergeben.

 

Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts hat der historische Gesetzgeber mit der Zugehörigkeit zu einer Innung die gemeinsame, im Grundsatz unteilbare Verantwortung für die Erfüllung der, den Innungen gesetzlich anvertrauten Aufgaben verknüpft.

 

Aus der Vollmitgliedschaft des Innungsmitgliedes ergibt sich, dass dieses nicht durch eine Willenserklärung als nachteilig empfundene Folgen aus der Wahrnehmung einzelner Aufgaben der Innung für sich ausschließen kann, an den übrigen Ergebnissen der Innungstätigkeit jedoch weiterhin teilnimmt.

 

Dementsprechend kann die Innung ihre freiwillige Aufgabe Tarifverträge abzuschließen nur für alle Vollmitglieder in der Innung gemeinsam wahrnehmen.

 

Nach Meinung des Bundesverwaltungsgerichts kann nur hierdurch ein hinreichender Schutz der Beschäftigten in den Handwerksbetrieben erreicht werden.

 

Die Einführung einer OT-Mitgliedschaft würde nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts einen Anreiz schaffen, eine Bindung an Tariflöhne möglichst zu vermeiden, so dass sich nur ein begrenzter Wirkungsbereich der Tarifabschlüsse der Innungen ergibt.

 

Dies würde die vom Gesetzgeber bezweckte Stellung der Innung als Tarifpartner schwächen.

 

Außerdem steht die Subsidiarität der Tarifbefugnis der Innungen gegenüber den Landesinnungsverbänden einer OT-Mitgliedschaft entgegen.

 

Gemäß § 82 S. 1 i. V. m. S. 2 Nr. 3 Handwerksordnung können die Landesinnungsverbände Tarifverträge abschließen.

 

Diese Befugnis der Landesinnungsverbände besteht nur im Interesse sämtlicher und nicht nur eines Teils der Mitglieder der Innungen im Bezirk.

 

Gemäß § 54 Abs. 3 Nr. 1 Handwerksordnung hat der Gesetzgeber den Innungen die Tarifbefugnis nur insoweit verliehen, als der Landesinnungsverband hiervon nicht Gebrauch gemacht hat.

 

Dementsprechend bewegen sich die Innungen auch nur in dem Rahmen, der für die Landesinnungsverbände gilt.

 

4.

Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts überzeugt nicht in allen Punkten.

 

Die Argumentation ist rechtlich nicht zwingend und bewegt sich vielfach auf tarifpolitischen Erwägungen.

 

Trotzdem ist sie im Ergebnis richtig, denn die OT-Mitgliedschaft ist der Ausweg der Arbeitgeberverbände aus dem Dilemma der Flächentarifverträge und deren Folgen für kleine und mittlere Betriebe.

 

So sehr die Übertragung auf Tarifverträge der Innungen auf den ersten Blick, auch im Interesse der Mitgliederwerbung interessant sein mag, so lassen sich doch die Folgen nicht leugnen.

 

Eine OT-Mitgliedschaft innerhalb einer Innung führt auch angesichts des Konkurrenzdrucks der Mitgliedsbetriebe in der Region letztlich nur zu einer Belastungsprobe der Innung und deren Schwächung.

 

RA Raber, 06.07.2016

BVerwG Urteil vom 23.03.2016-10 C 23.14)

 

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