Die Musterfeststellungsklage kommt!


Am 01.11.2018 treten die neuen §§ 606 ff. der ZPO in Kraft, die etwas komplett Neues im deutschen Zivil-Prozessrecht zum Gegenstand haben, nämlich die Musterfeststellungsklage.

 

Die Eile, mit der der Gesetzgeber die Gesetzesänderung forciert hat, steht im Zusammenhang mit dem Dieselskandal und dem Umstand, dass potenziellen Klägern zumindest bei Ansprüchen aus dem Jahre 2015 zum 31.12.2018 Verjährung droht.

 

Es ist daher davon auszugehen, dass der Musterfeststellungsklage im Zeitraum zwischen 01.11.2018 und 31.12.2018 die Feuertaufe bevorsteht.

 

Was ist zu beachten:

 

1.     Was ist die Musterfeststellungsklage?

 

Bei der Musterfeststellungsklage handelt es sich nomen est omen um eine Feststellungsklage, nicht also um eine Zahlungsklage.

 

Sie dient dazu, dass wesentliche Teile des Streitstoffs im Rahmen eines Musterverfahrens geklärt werden, wohingegen es dem Einzelnen überlassen bleibt, seine individuellen Ansprüche, die sich aus einer solchen Klärung ergeben, selbst durchzusetzen.

 

Kläger kann nur eine sogenannte qualifizierte Einrichtung“ sein.

 

Der Gesetzgeber definiert, was eine solche qualifizierte Einrichtung ist.

 

In erster Linie werden wohl die Verbraucherzentralen in Betracht kommen, die überwiegend mit öffentlichen Mitteln gefördert werden.

 

Bei ihnen wird unwiderleglich vermutet, dass es sich um qualifizierte Einrichtungen handelt.

 

Der einzelne Verbraucher hingegen kann keine Musterfeststellungsklage erheben.

 

Ebensowenig sind Unternehmer hierzu befugt.

 

Für Unternehmer ist die Musterfeststellungsklage nur insoweit relevant, als Unternehmer, die selbst Prozesse angestrebt haben, diese bei Anhängigkeit einer Musterfeststellungsklage mit gleichem Sachverhalt bis zur Entscheidung im Musterfeststellungsverfahren aussetzen können.

 

2.     Was wird geklärt?

 

Im Mittelpunkt der Musterfeststellungsklage steht die Definition dessen, was überhaupt geklärt werden soll, also das Feststellungsziel.

 

Geklärt werden können sowohl tatsächliche Verhältnisse, als auch rechtliche Verhältnisse, weshalb zur Ermittlung tatsächlicher Verhältnisse auch Beweiserhebungen denkbar sind.

 

So steht zu erwarten, dass im Rahmen von Musterfeststellungsverfahren anlässlich des Dieselskandals Sachverständige hinzugezogen werden.

 

An diese Feststellungen sind die Gerichte, die sodann über die Individualklagen der Verbraucher entscheiden, gebunden.

 

3.     Wie wird der Verbraucher einbezogen?

 

Das entscheidende Novum der Musterfeststellungsklage ist, dass sie eine Feststellungsklage im Drittinteresse ist.

 

Damit muss zwangsläufig definiert werden, wer überhaupt Dritter des Verfahrens sein soll.

 

Diesem Zweck dient das sogenannte Klageregister, welches beim Bundesamt für Justiz geführt wird.

 

Das Bundesamt für Justiz ist für die Bekanntmachung von Musterfeststellungsklagen verantwortlich und für die Veröffentlichung von Musterfeststellungsurteilen.

 

Im Klageregister wird die Musterfeststellungsklage bekannt gemacht, insbesondere ihre Feststellungsziele und eine kurze Darstellung des vorgetragenen Sachverhalts.

 

Verbraucher können Einsicht nehmen und sich sodann für ihre Teilnahme am Verfahren entscheiden.

 

Die Teilnahme erfolgt durch eine Anmeldung, die bis zum Ablauf des Tages vor dem Beginn des ersten Termins möglich ist.

 

Es ist also nicht möglich, bis zum Schluss zu warten, wenn feststeht, dass das Verfahren positiv ausgeht, denn Trittbrettfahrer sind nicht erwünscht.

 

Meldet sich der Verbraucher zum Klageregister an, so muss er nach dem Gesetzeswortlaut nicht detailliert darlegen, um was es bei ihm geht.

 

Vor einer allzu lockeren Handhabung der Begründung der Anmeldung ist allerdings dringend zu warnen, denn stellt sich hinterher heraus, dass der Sachverhalt, der Gegenstand der Musterfeststellungsklage ist, nicht identisch ist, mit dem Sachverhalt, der der Anmeldung des Verbrauchers zugrunde liegt, so nutzt dem Verbraucher ein positiver Ausgang des Musterfeststellungsverfahrens nichts.

 

4.     Verfahren

 

Die Musterfeststellungsklage wird bei den Oberlandesgerichten eingereicht.

 

Ihre Zulässigkeit hängt zum einen davon ab, dass von den Feststellungszielen die Ansprüche oder Rechtsverhältnisse von mindestens zehn Verbrauchern abhängen, zum anderen müssen sich innerhalb von zwei Monaten nach der öffentlichen Bekanntmachung der Klage im Klageregister mindestens 50 Verbraucher angemeldet haben.

 

Ob eine Musterfeststellungsklage zulässig ist, steht also bei Erhebung nicht fest, die Zulässigkeit kann erst nach zwei Monaten beurteilt werden.

 

Anders als im Klageverfahren oder im selbstständigen Beweisverfahren gibt es nicht die Möglichkeit der Streitverkündung.

 

Das beklagte Unternehmen kann daher nicht im Hinblick auf mögliche Regressansprüche, etwa von Zulieferern den Streit durch Streitverkündungen in die Länge ziehen, der Prozess bleibt zumindest was die Prozessparteien anbetrifft, schlank.

 

5.     Sperrwirkung

 

Eine weitere Besonderheit liegt in der Sperrwirkung der Musterfeststellungsklage.

 

Ist über einen bestimmten Sachverhalt eine Musterfeststellungsklage erhoben, so kann kein angemeldeter Verbraucher eine gesonderte Klage gegen den Beklagten erheben, wenn diese denselben Sachverhalt und dieselben Feststellungziele betreffen würde.

 

6.     Urteil

 

Kommt es zu einer Entscheidung, so ergeht diese durch Urteil.

 

Das Urteil wiederum wird im Klageregister öffentlich bekannt gemacht, ebenso der Eintritt der Rechtskraft.

 

Das rechtskräftige Musterfeststellungsurteil bindet sodann nicht nur die Prozessparteien also Kläger und Beklagte, sondern alle angemeldeten Verbraucher.

 

Gegen das Urteil ist das Rechtsmittel der Revision zum BGH möglich, wobei die Sache stets grundsätzliche Bedeutung hat.

 

7.     Vergleich

 

Auch der Abschluss des Musterfeststellungsverfahrens im Wege eines Vergleiches ist möglich.

 

Auch insoweit soll eine Bindung nicht nur der Prozessparteien, sondern auch der angemeldeten Verbraucher erreicht werden.

 

Aus diesem Grunde wird der Vergleich nicht bereits mit dem Abschluss durch die Parteien wirksam, sondern erst dann, wenn er durch das Gericht genehmigt wird.

 

Die Genehmigung durch das Gericht erfolgt nur dann, wenn der Vergleich den bisherigen Sach- und Streitstand angemessen berücksichtigt.

 

Die im Klageregister angemeldeten Verbraucher sind an den Vergleich dann gebunden, wenn diese den Vergleich akzeptieren.

 

Wer den Vergleich nicht akzeptiert, hat die Möglichkeit nach Bekanntmachung des Vergleichs auszutreten (Opt out).

 

Hinsichtlich der verbliebenen Verbraucher wird der Vergleich nur dann wirksam, wenn er von deren Mehrheit akzeptiert wird.

 

Dies ist erst dann der Fall, wenn mindestens 70 % der angemeldeten Verbraucher, die also nicht von ihrem Opt out Recht Gebrauch gemacht haben, den Vergleich akzeptieren.

 

Haben also mehr als 30 % der angemeldeten Verbraucher ihren Austritt aus dem Vergleich erklärt (Opt out) ist der Vergleich auch dann unwirksam, wenn er vom Gericht zuvor genehmigt wurde.

 

8.     Notwendigkeit eines Rechtsanwaltes

 

Verbraucher, die von der Möglichkeit der Anmeldung zum Klageregister im Rahmen einer Musterfeststellungsklage Gebrauch machen möchten, erreichen mit der Anmeldung für ihre Ansprüche die Hemmung der Verjährung.

 

Dies klingt zunächst gut, ist jedoch nicht ohne Tücken.

 

Die Verjährungshemmung wird nämlich nur dann erreicht, wenn Feststellungsklage und Feststellungsziel der Musterfeststellungsklage auch tatsächlich mit dem Sachverhalt identisch sind, um den es dem konkreten Verbraucher geht.

 

Der Verbraucher muss daher vor seiner Anmeldung sehr genau prüfen, ob die Musterfeststellungsklage, der er sich durch Anmeldung anschließt, auch tatsächlich seinen Fall betrifft.

 

Anderenfalls nutzt ihm der positive Ausgang des Musterfeststellungsverfahrens nichts.

 

Eines Anwalts bedarf es nicht, die Anmeldungen zum Klageregister ist ebenso ohne Anwaltszwang möglich, wie die Rücknahme der bereits erfolgten Anmeldung.

 

Ob allerdings eine Anmeldung ohne anwaltliche Prüfung des Gegenstands der Musterfeststellungsklage und ohne Formulierung der Anmeldebegründung durch einen Anwalt sinnvoll ist, wird die Zukunft zeigen.

 

 

RA Raber, 17.10.2018

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