Das Thüringer Vergabe- und Mittelstandsförderungsgesetz – Eine schwere Geburt.

Das Gesetz sollte kurzfristig beschlossen werden und am 01.01.2011 in Kraft treten.

Beachtliche Widerstände haben den Zeitplan völlig durcheinander gebracht.

Nach Auffassung des Fraktionsvorsitzenden der FDP im Landtag Uwe Barth
soll der Wirtschaftsminister mit dem Vergabegesetz zur größten Bedrohung
für die Thüringer Wirtschaft im eigenen Land werden, nach Auffassung des Hauptgeschäftsführers des Verbandes der Wirtschaft Thüringen Stephan Fauth ist das Gesetz anmaßend, weil die öffentliche Hand an die Unternehmen Forderungen stellt, die mit dem Gegenstand des Auftrags nichts zu tun haben.

Streng urteilt der ehemalige Thüringer Innenminister und nunmehrige Bundesverfassungsrichter Prof. Dr. Peter Huber über die Streithähne, deren
Debatte er als eine seltsame Mischung aus Handlungsunwilligkeit, Borniertheit
und dogmatische Orientierungslosigkeit bezeichnet.

Am 18.01.2011 fand daher eine erneute Anhörung der Wirtschaftsverbände statt,
worauf am 15.02.2011 der Ausschuss für Wirtschaft, Technologie und Arbeit des
Thüringer Landtages teilweise grundlegende Änderungen am Gesetzesentwurf
vornahm.

Hierzu sollen nunmehr bis zum 25.03.2011 die kommunalen Spitzenverbände
und weitere Beteiligte angehört werden, bevor das Gesetz im April im Plenum
beraten und schließlich beschlossen werden soll, damit es im Mai in Kraft treten
kann.

Dabei befindet sich das Land in einem Wettlauf mit der Zeit.

Am 30.04.2011 laufen die letzten Übergangsregelungen für die 2004 der EU
beigetretene Mitgliedsstaaten aus, mit der Folge, dass ab 01.05. dieses Jahres
nahezu in der gesamten Europäischen Union die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit gilt.

Man rechnet mit Wirkung ab 01.05. mit Lohn- und folglich mit Preisdumping,
weshalb eigentlich keine Zeit für überflüssige Auseinandersetzungen ist.

1. Inhalt

Das Thüringer Vergabe- und Mittelstandsförderungsgesetz beinhaltet derzeit
zwei
Regelungsbereiche, zum einen nämlich die Mittelstandsförderung, zum anderen
das Vergaberecht.

Wir wissen derzeit nicht, ob das Gesetz getrennt wird in Mittelstandsförderung
einerseits und Vergaberecht andererseits. Noch gehen wir davon aus, dass
beide Regelungsbereiche im Gesetz enthalten sind. Daher zunächst zu den
Regelungen über die Mittelstandsförderung.

Die Regelungen über die Mittelstandsförderung sind politische Programmatik,
mehr nicht.

Insbesondere ergibt sich aus dem Gesetz kein Rechtsanspruch auf Förderung.

Es wird im Gegenteil der Vorrang privater Leistungserbringung hervorgehoben,
gerade um den Thüringer Landeshaushalt zu schonen.

Im Übrigen verweist das Gesetz auf den jeweiligen Landeshaushaltsplan.

Aus den Regelungen über die Mittelstandsförderung lässt sich daher unmittelbar nichts entnehmen.

Wesentlich dürfte daher sein, welche Haushaltsmittel zukünftig der Thüringer
Aufbaubank zur Verfügung stehen und welche Mittel insbesondere bei
Existenzgründern durch den Europäischen Sozialfond zur Verfügung gestellt
werden können.

2.

Wesentlicher Punkt ist das Vergaberecht.

Wir reden hier alleine in Thüringen von der Vergabe öffentlicher Aufträge im
Umfang von 1,95 Milliarden Euro, wovon 615 Million Euro auf das Land und
1,3 Milliarden Euro auf die Gemeinden und Gebietskörperschaften in Thüringen
entfallen.

Es geht also um die Verteilung eines ganz beachtlichen Kuchens.

Dementsprechend gelten die Bestimmungen des Gesetzes für alle öffentlichen
Aufträge des Landes, der Gemeinden und Gemeindeverbände sowie der unter
Aufsicht des Landes stehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des
öffentlichen Rechts und für juristische Personen des Privatrechts nach § 98 Nr. GWB, also juristische Personen des Privatrechts, die zu dem besonderen Zweck
gegründet wurden, um im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen.

Bespiele im Land sind Sparkassen, Berufsgenossenschaften,
Stromnetzbetreiber, Abfallentsorgung, öffentliche Bäder, Förderung der Wirtschaft und das Entstehen von Arbeitsplätzen, Bestattungswesen, öffentlicher Personalverkehr etc.

3. Anwendungsbereich

Erfasst werden alle Beschaffungen öffentlicher Auftraggeber ab 50.000,00 €
Auftragssumme bei Bauaufträgen und ab 20.000,00 € bei Liefer- und
Dienstleistungsaufträgen.

4.

Die § 8 ff. regeln die Vergabekriterien.

Die Gegner des Gesetzes werfen dem Gesetzgeber vor, dass er aus politischen
Gründen vergabefremde Kriterien eingefügt hat, sodass nicht mehr allein der
niedrigste Angebotspreis und damit der wirtschaftlichste Bieter im Mittelpunkt
steht, sondern ganz im Gegenteil kleine und mittlere Betriebe keine Chance haben.

Im Mittelpunkt der Kritik stehen vergabefremde Inhalte, wie

1.    Ausbildungsquoten

2.    Gleichstellungskriterien

3.    Umweltbelange

4.    Tarifliche Entlohnungen

Nach heutigem Stand (23.02.2011) wird es eine Änderung dahingehend geben,
dass die als vergabefremd kritisierten Kriterien Ausbildungsquoten und
Gleichstellungskriterien nicht für Betriebe mit weniger als 25 Mitarbeitern gelten.

Die Kriterien Umweltbelange und Tariffreiheit dürften freilich für alle Betriebe
gelten, da das Gesetz sonst seinen Schutzzweck nicht entfalten kann.

Gem. § 97 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) steht
im Mittelpunkt das wirtschaftlichste Angebot.

Das Ausschreibungsverfahren dient dem Zweck den wirtschaftlichsten Bieter
zu finden.

Dementsprechend sind nicht überprüfbare Zuschlagskriterien verboten.

Vergabefremd sind danach Kriterien, die weder die fachliche Eignung betreffen,
noch auf Ermittlung des wirtschaftlichen Angebots, das die bestmögliche
Leistung erwarten lässt gerichtet sind, so zum Bespiel allgemein politische
Zielsetzungen oder allgemeine volkswirtschaftliche Vorteile.

Das Thüringer Vergabegesetz enthält unter § 8 ff. mehrere Kriterien, die mit der
Ermittlung des wirtschaftlichsten Bieters nicht ohne weiteres etwas zu tun haben, so beispielsweise ökologische und soziale Kriterien.

So soll der Zuschlag nach § 12 zwar den wirtschaftlichsten Angebot erteilt
werden, wobei allerdings nicht der niedrigste Angebotspreis entscheidend ist,
sondern mitentscheidend ist, ob Umweltbelange berücksichtigt wurden.

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes können
Umweltschutzkriterien berücksichtigt werden, sofern diese Kriterien mit
dem Gegenstand des Auftrags zusammen hängen, diese dem Auftraggeber
keine uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit einräumen, im Leistungsverzeichnis oder in der Bekanntmachung des Auftrags ausdrücklich genannt sind und bei ihnen alle wesentlichen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts, vor allem das Diskriminierungsverbot beachtet werden (EuGH 17.09.2002 AZ C 513/99).

Ganz wesentliches Kriterium im Thüringer Vergaberecht ist die im § 14 geregelte Tariftreue und Entgeltgleichheit.

Danach dürfen öffentliche Aufträge nur an Unternehmen vergeben werden, die sich bei der Angebotsabgabe schriftlich verpflichtet haben, ihren Arbeitnehmern bei der Ausführung dieser Leistungen Arbeitsbedingungen zu gewähren, die mindestens den Vorgaben desjenigen Tarifvertrages entsprechen, an dem das Unternehmen aufgrund des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes gebunden ist.

Wer jedoch ohnehin an einen Mindestlohntarifvertrag gebunden ist, der wird auch keine Not haben, insoweit Tariftreue zu erklären.

Die Kritik an der Tariftreueerklärung als vergabefremden Kriterium ist daher
nicht recht nachvollziehbar, zumal die Tariftreueerklärung bereits bislang
aufgrund der Vergaberichtlinien abgegeben werden musste.

5. NU-Einsatz

Gem. § 16 bedarf es für den Subunternehmer-Einsatz der schriftlichen
Zustimmung des Auftraggebers.

Dem Auftragnehmer obliegt es den Nachunternehmer zu kontrollieren,
ob er die nach dem Gesetz bestehenden Verpflichtungen einhält.

Anderenfalls würde das Gesetz durch bloßen Nachunternehmereinsatz leerlaufen.

6.

Nach § 20 werden bei Bauleistungen ab 250.000,00 € netto regelmäßig
Sicherheitsleistungen für die Fertigstellung, ebenso wie für die Gewährleistung
verlangt.

Dies ist bereits jetzt Praxis.

7.

Gem. § 22 werden Vertragsstrafen vereinbart, die sich auf die Einhaltung
der Verpflichtungen nach § 14 – 16 und 21 des Gesetzes beziehen, also
auf Tariftreue, Entgeltgleichheit und den Nachunternehmereinsatz, damit
entsprechende Sanktionsmittel zur Verfügung stehen.

Ein scharfes Schwert ist darüber hinaus § 22 Abs.3, wonach Auftragnehmer
die gegen die Regelung unter § 14 bis 16 und 21 Abs. 2 verstoßen, bis zu drei
Jahre von der öffentlichen Auftragsvergabe ausgeschlossen werden.

8. Rechtschutz

Im Unterschwellenbereich fehlte es bislang an einem kodifizierten Verfahren
zur Gewährung eines Primärrechtsschutzes zu Gunsten eines übergangenen
Bieters.

Soweit sich für den erfolglosen Bieter überhaupt Unterlassungsansprüche
ergeben können, sind diese bislang in aller Regel nicht durchsetzbar, da sie
jedenfalls mit Erteilung des Zuschlages untergehen.

Ihnen verbleibt damit maximal ein Schadensersatzanspruch, der wiederum
häufig deshalb nicht durchsetzbar ist, weil der Bieter kein Akteneinsichtsrecht hat.

Maßgeblich für die Frage, ob effektiver Rechtsschutz vorliegt, ist mithin das
Erreichen der Schwellenwerte.

Beachtet man, dass die EU-Schwellenwerte bei Bauaufträgen bei 4,845 Mio Euro und für Lieferung- und Dienstleistungsaufträge bei 193.000,00 € liegen, so darf man davon ausgehen, dass in der Mehrzahl der Vergabeverfahren kein
effektiver Rechtsschutz vorliegt, da diese Schwellenwerte nicht erreicht werden.

Das Thüringer Vergabegesetz geht daher einen eigenen Weg.

Gemäß § 24 ist nämlich der Verwaltungsrechtsweg unterhalb der Schwellenwerte eröffnet, und zwar bei Bauleistungen ab 150.000,00 € netto und bei Leistungen und Lieferungen im Übrigen ab 50.000,00 € netto.

Ob es dabei sinnvoll war, anstelle der Vergabekammer das Verwaltungsgericht
zum Adressaten des Primärrechtsschutzes zu machen, wird die Zukunft weisen.

RA Raber, 24.02.2011

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