Arbeitsrecht: Leiharbeitnehmer und Betriebsänderung

Führt der Arbeitgeber eine Betriebsänderung durch und werden in deren Folge Arbeitnehmer entlassen, ohne dass der Arbeitgeber einen Interessenausgleich versucht hat oder er von einem Interessenausgleich abweicht, so steht den Arbeitnehmern ein Anspruch auf Nachteilsausgleich zu.

Für die Berechnung dieser Abfindung gilt § 10 KSchG also ein Betrag von bis zu 12 Monatsverdiensten, bei Überschreitung des 50. Lebensjahres und entsprechender Betriebszugehörigkeit auch mehr.

Der Arbeitgeber ist also gut beraten, wenn er bei einer Betriebsänderung zur Vermeidung von Nachteilsausgleichsansprüchen Verhandlungen über einen Interessenausgleich durchführt.

Erzwingbar wäre ein Sozialplan ohnedies erst nach Maßgabe der Schwellenwerte gem.
§ 112 a BetrVG.

Der Arbeitgeber sollte sich daher frühzeitig überlegen, ob die Betriebsänderung unter die Schwellenwerte gem. § 111 BetrVG oder gar § 112 a BetrVG fällt.

In diesem Zusammenhang ist eine Entscheidung des BAG vom 18.10.2011 (1 AZR 335/10) von großer Bedeutung.

Das BAG beschäftigt da mit der Frage, inwieweit bei der Ermittlung des Schwellenwertes gem. § 111 Satz 1 BertVG Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen sind.

Gem. § 9 BetrVG sind Leiharbeitnehmer keine Arbeitnehmer des Entleiherbetriebes und werden daher bei der Feststellung der Belegschaftsstärke nicht berücksichtigt
(BAG 10.03.2004 – 7 ABR 49/03).

Die Rechtsprechung des BAG zu § 9 BetrVG ist allerdings nicht auf die Schwellenwerte gem. § 111 ff. BetrVG zu übertragen.

Zweck des § 9 BetrVG ist die Sicherstellung, dass die Zahl der Betriebsratsmitglieder in einem angemessenen Verhältnis zur Zahl der betriebsangehörigen Arbeitnehmer steht, deren Interessen und Rechte der Betriebsrat zu wahren hat.

Nur für diese hat der Betriebsrat sämtliche, nach dem Betriebsverfassungsgesetz bestehenden Mitbestimmungsrechte wahrzunehmen.

Der Zweck des Schwellenwertes nach § 111 BetrVG steht dagegen einer Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern bei der Ermittlung der Belegschaftsstärke nicht entgegen.

Das BAG bejaht die Berücksichtigung der Leiharbeitnehmer bei der Berechnung des Schwellenwertes.

Zwar zählen die Leiharbeitnehmer nicht zu den Arbeitnehmern des Entleiherbetriebes, jedoch rechtfertigt sich deren Berücksichtigung nach dem Zweck des § 111 BetrVG.

Dieser besteht darin, kleine Unternehmen vor einer finanziellen Überforderung durch Sozialpläne zu schützen.

Maßstab ist mithin die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Unternehmens.

Die Leistungsfähigkeit des Unternehmens wird auch durch die Personalkosten zum Ausdruck gebracht.

Zu den Personalkosten gehören auch die Kosten, die der Arbeitgeber für Leiharbeitnehmer durch Zahlung an den Verleiher aufbringt.

Anders ausgedrückt:

Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Unternehmens mit 50 Mitarbeitern stellt sich nicht wesentlich anders dar, als die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens mit 10 Mitarbeitern und 40 Leiharbeitnehmern.

Da die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Maßstab für den Gesetzeszweck des § 111 BetrVG ist, sind mithin Leiharbeitnehmer bei der Ermittlung des Schwellenwertes mit zu berücksichtigen.

Arbeitgeber sollten dies beachten, wenn sie eine Inanspruchnahme nach § 113 BetrVG vermeiden wollen.

RA Raber, 14.02.2012

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